Kreuzberger Chronik
März 2007 - Ausgabe 85

Straßen

Die Schlachtentrilogie (4):
Die Möckernstraße



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von Werner von Westhafen

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Die nach Waterloo berühmteste Schlacht Napoleons ist die Völkerschlacht. Doch fand sie nicht in Leipzig, sondern in den Dörfern der Umgebung statt. Eines dieser Dörfer spielte im blutigen Oktober des Jahres 1813 eine bedeutende Rolle: Möckern. In seiner Nähe hielten zwei Protagonisten der Befreiungskriege die Stellung: Blücher und Yorck. Denn Leipzig war von den Franzosen bereits in engem Kreis umstellt, aber die Preußen, Russen, Österreicher und Schlesier hatten beschlossen, ihnen in den Rücken zu fallen und die Stadt zu befreien.

Dabei waren Napoleons Truppen gar nicht angetreten, Leipzig einzunehmen. Es waren die Niederlagen in den Schlachten bei Großbeeren, Hagelberg und Dennewitz, die Napoleon veranlaßt hatten, Dresden zu verlassen und seine verstreuten Armeen wieder zusammenzuführen. Möglicherweise befand sich Napoleon bereits auf dem Rückzug, als die Preußen sich am 15. Oktober zum Angriff entschlossen und den Franzosen seinerseits innerhalb weniger Stunden umzingelten.

Aber der siegesgewisse französische Feldherr mit seinen Garden und 8 weiteren Korps und »170.000 Mann nebst 14.000 Reitern und 700 Geschützen« wähnte sich in Sicherheit. Er glaubte weder »an die Anwesenheit der (…) böhmischen und schlesischen Armee, noch an den Entschluß der Verbündeten zu einer großen Entscheidungsschlacht.« Dabei braute sich im sumpfigen Süden Leipzigs längst das Unheil zusammen.

200.000 feindliche Soldaten hatten den fünf Kilometer entfernten Ort Konnewitz ins Visier genommen und eröffneten »noch am frühen Morgen des 16. Oktober ein furchtbares Geschützfeuer«. Doch sie kamen nicht weit, schon in Markkleeberg wurden sie von den Franzosen abgefangen. Viermal nahmen sie Anlauf, viermal wurden sie wieder vertrieben. Auch der Nachbarort Wachau, wo Napoleon selbst befehligte, wurde »unter furchtbarsten Verlusten« wieder verloren, und das strategische Ziel Konnewitz sahen die Preußen nur von weitem. Frech und siegesgewiß ging Napoleon nun seinerseits zum Angriff über, gegen Nachmittag warf er 8.000 Reiter in die Schlacht, aber auch sie konnten die Linien der Preußen nicht durchbrechen.

Während sich Franzosen und Alliierte im Süden Leipzigs die Schädel einschlugen, marschierten im Norden Blücher und Yorck ungehemmt vorwärts. Eigentlich hatten die Beiden auf die Schweden warten wollen, die mit der Nordarmee anrückten, doch ein von den Franzosen besetztes Dörfchen auf einem Hügel trotzte den Preußen, als wäre es eine Festung: Möckern. Es dauerte nicht lange, da war der Hügel dem ungestümen Blücher ein Dorn im Auge, er lief verbal zur Hochform auf und rief den Männern zu: »Kinder, heute haut mal auf altpreußische Art ein. Wer heute abend nicht entweder tot oder wonneduselig ist, der hat sich geschlagen wie ein infamer Hundsfott.«

Doch die Franzosen unter Marmont waren vorsichtiger als Napoleon: Sie hatten »jedes Haus, jede Scheune« des Dorfes besetzt, sie schossen aus allen Fenstern und allen Gartenhecken. Auch jenseits von Möckern hatte Marmont seine Leute bestens postiert, von überall her »flogen den Angreifern die Kugeln entgegen«. Yorck kann »auf eine Strecke« ins Dorf eindringen, »wird dann aber von den Marinesoldaten Marmonts mit solchem Ungestüm empfangen«, daß er schon bald wieder den Rückzug antreten muß. Dreimal nehmen die Preußen Anlauf, werfen sich mit Bajonetten »gegen ein großes massives Gehöft« und »nisten sich ein. (…) Aber Marmont erkennt so gut wie Yorck den Wert des Besitzes von Möckern, und läßt die alten Marinesoldaten anrücken. Bald kämpfen Mann gegen Mann, französische Marinesoldaten, preußische Jäger, Landwehr, alles ein Knäuel, blutig, fast unentwirrbar.« Abermals müssen die Preußen sich zurückziehen, ohne sich um Sterbende und Verwundete kümmern zu können, »die Verluste sind ungeheuer.«

Yorck ruft Unterstützung, aber die Franzosen »geben ein mörderisches Feuer«, es »sprühen die Hecken und Mauern von Möckern.« Und auch die Franzosen haben zur Unterstützung die Truppen des Generals Ney angefordert. Das hätte für die Preußen das Ende bedeuten können. Doch wieder kommt ihnen der Zufall zu Hilfe: Inmitten der französischen Brigaden fliegen plötzlich 2 Pulverwagen in die Luft. Die Preußen nutzen die Gunst der Stunde und erobern einige Geschütze, müssen sich am Ende jedoch abermals zurückziehen. Und haben darüber hinaus in einer knappen Stunde 1.500 Mann verloren! Siebenmal schlagen die Franzosen die Preußen zurück, doch als abermals einige Munitionswagen in die Luft fliegen und auch den General Marmont verletzen, wittert Yorck seine Chance. »Yorck stand kein geordnetes Bataillon mehr zur Verfügung. Da erblickte er links der Straße von Möckern drei Schwadronen Brandenburger Husaren, kaum 200 Mann, in Linie aufmarschiert.« Diesen Reitern gelang es, die Linie der Franzosen zu durchbrechen und fünfzehn Kanonen nebst fünf Munitionswagen zu erbeuten. Am Ende bestand die Beute aus 2.000 Gefangenen, zwei Fahnen und vierzig Geschützen. Von den 20.000 Mann, die Yorck in die Schlacht um Möckern geworfen hatte, waren 7.000 gefallen. Ähnlich hoch waren die Verluste der Franzosen. Und auch das Dorf Möckern hatte 48 Häuser verloren.

Die angeforderte Verstärkung der Franzosen unter General Ney kam nie in Möckern an. Sie hatte auf halbem Weg kehrt gemacht, um Napoleon in Wachau zu Hilfe zu kommen. Aber auch dort kam Ney zu spät. Historiker behaupten, daß er die Schlacht entschied. Napoleon erkannte nun die Schwierigkeit der Lage und bat um Waffenstillstand. Die Preußen aber, denen vor den Schlachten von Hagelberg und Großbeeren nichts lieber gewesen wäre als das Schweigen der Waffen, antworteten nicht einmal. Noch zwei weitere blutige Tage lang zogen sich die Kämpfe hin, Napoleon war längst umzingelt. Lediglich einen engen Paß hatten die Preußen ihm für den Rückzug gelassen, sie wollten »den gefürchteten Gegner« nicht zu »einem Verzweiflungskampf zwingen«. Sie fürchteten ihn wie ein Tier. In der Nacht des 19. Oktober zog er davon, der Vorschlag General Blüchers, den geliebten Feind mit 20.000 Mann zu verfolgen und niederzumetzeln, wurde abgelehnt. Nur kleine Einheiten folgten den Franzosen, um einem plötzlichen Sinneswandel Napoleons nicht unvorbereitet gegenüberzustehen.

Preußen und Russen zogen in Leipzig ein, Deutschland war bis zum Rhein befreit. Der Preis für die Freiheit war hoch: Beinahe eine halbe Million Menschen hatten die Regenten in die Schlacht um Leipzig geworfen. 120.000 von ihnen blieben auf dem Schlachtfeld zurück. 90 Meter hoch ist der Gedenkturm der Stadt. Doch ein Mahnmal sollte auch das 100 Jahre nach der Schlacht vom »deutschen Patriotenbund« aufgestellte Völkerschlachtdenkmal nicht sein. Im Gegenteil: In Leipzig gedachte man der siegreichen Schlacht mit Stolz und Patriotismus.

Werner von Westhafen

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