Kreuzberger Chronik
Juli 2007 - Ausgabe 89

Der Mensch
Christian Groß




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von Hans W. Korfmann

Titelfoto: Dieter Peters

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Christian Groß kennt kaum jemand. Er ist unscheinbar. Wenn Christian Groß abends im Yorckschlösschen auftaucht und das Publikum längst rast und klatscht und lacht, dann läßt ihn das Getobe scheinbar unbeeindruckt. Er nippt in aller Seelenruhe an seinem Feierabendbier, nickt hin und wieder jemandem höflich zu, eventuell wippt er ein bißchen mit dem Fuß unter dem Tisch.

Er gehört zu dieser Sorte Mensch, die sich nicht so leicht mitreißen läßt. Selbst, wenn der Wirt vom Schlösschen den Witz vom Bären erzählt, der selbst hartgesottene Tresensteher und Witzesammler zuerst in glucksendes, im zweiten Teil bereits in lautes, im Finalteil aber in wahrhaft hysterisches Lachen versetzt, dann entlockt das Christian Groß eher ein Schmunzeln.

Doch der Mann, der ein Gesicht macht, als wäre das Leben eine traurige Angelegenheit, ist voller Humor und voller Ideen. Er ist eben Profi, ein echter Komiker, und echte Komiker sind ganz anders, als sich das Publikum und die Leser das vorstellen. »Die Leute denken immer, Comiczeichner wären lustig, aber das sind sie gar nicht. Seyfried oder Wössner, oder Phil zum Beispiel, das ist ein ganz schüchterner Typ! Und daß der mal als Kabarettist auf der Bühne steht und so explodieren kann, das hätte ich nie gedacht! Der Einzige aus dieser ganzen Zeichnerszene, der auch privat immer witzig ist, das ist eigentlich Tom.«

Karikaturisten sind eher wie Buster Keaton, die Legende aus der Stummfilmzeit, die nicht nur eisig schwieg, sondern auch niemals lachte. Karikaturisten grölen nicht laut am Stammtisch, sie kichern leise am Schreibtisch. Aber es kann, so nett und höflich sie sonst auch sein mögen, in der Abgeschiedenheit ihrer Arbeitszimmer ein diabolisches Lachen werden. Keiner würde vermuten, daß hinter dem netten Christian Groß aus dem Yorckschlösschen dieser bissige Kriki steckt.

Seit über zwanzig Jahren versorgt Kriki die Leser von zitty und taz mit bitteren Wahrheiten. Anders als die zeichnenden Kollegen Kriki immer ganz nah dran an der Wirklichkeit. Denn anders als die Kollegen, die ein verfremdetes Abbild der Wirklichkeit zeichnen und ihrer Phantasie freien Lauf lassen können, nimmt Christian Groß die Wirklichkeit selbst. Er schneidet sie aus real existierenden Büchern, er blättert in alten Lexika, in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Schulbüchern, zoologischen und botanischen Lehrbüchern, im Knigge, in lauter Büchern, die es bitterernst meinen, und versieht sie mit kleinen, bösen Kommentaren. Anders als Seyfried mit seinen Polizistengrimassen oder Wössner mit seinen Hippiepersiflagen nimmt Christian Groß Teile aus der Wirklichkeit und stellt sie nebeneinander, setzt sie neu zusammen. Er ist, nach eigenen Worten, ein Collagist, »er kann stolz über Flohmärkte und durch Antiquariate streifen, er ist einer der letzten Jäger und Sammler auf der Pirsch. Selten wird er die nachdenklichen Blicke der schönen Frauen wahrnehmen, die ihm dabei folgen, denn wenn ein Collagist Witterung aufgenommen hat, will er nur eins: Beute machen!«

Natürlich ist der Fundus des Sammlers im Grunde ein unsortierter Schnipselhaufen. »Die Vorratskammern des Collagisten«, schreibt Groß im Vorwort zum Reich der Schnitte, »sind Koffer, Kartons und Kommoden, die alle nach einem geheimnisvollen Modus gefüllt werden, der regelmäßig verändert wird, wodurch (…) ein labyrinthisch sich immer neu verzweigendes System entsteht …«. Wegen dieses Labyrinthes ist die Arbeit des Collagisten manchmal schwierig, und wenn die Redaktionen Groß ein Thema vorschreiben, »dann ist das eine endlose Sucherei!« Oft hat er Abbildungen in der Hand, von denen er längst nicht mehr weiß, warum er sie ausgeschnitten hat, und in welchem Kontext sie standen. »Da fragt man sich, was das alles überhaupt soll!«

Aber wenn er wieder freie Hand hat und ohne konkrete Vorstellung in seinem Blätterberg herumfischt, dann kommt es vor, daß zufällig zwei Bilder nebeneinander liegen, zwischen denen dann »plötzlich was passiert«. Und wenn der Collagist diesen winzigen, aber entscheidenden Augenblick nicht verschläft, dann ist der nächste »Kriki« geboren. Das hört sich irgendwie leicht an, aber »das alles ist in diesen Zeiten ein ziemlich mühsames Gewerbe!«

Der erste »Kriki« erschien in der Hör Zu, die in den Siebzigern überall herumlag, in jeder Zahnarztpraxis, bei jedem Friseur, in jedem Wohnzimmer. »Da hab ich mehr verdient als heute!« Doch als der Referendar nach Berlin kam, war die Hör Zu aus dem Hause Springer politisch nicht mehr kompatibel, »da wollte man dann doch eher in die Pardon«. Tatsächlich schaffte es der angehende Biologie und Kunstlehrer in eines der letzten Hefte dieses Kultmagazins. Auch der noble Stern fand 2 Jahre lang Gefallen am kritischen Kriki, auf Dauer aber haben nur taz und zitty dem boshaften Blick die Treue gehalten.

»Früher konnten wir Bücher machen! Postkarten! Wir hatten witzige Ausstellungen bei Werner Tammen in der Galerie am Chamissoplatz, die ganze Zeichnerclique, zusammen mit Wössner, Seyfried, Rauschenbach, Vollant, der damals noch zeichnete.« Gemeinsam mit einem Kollektiv von Zeichnern hat Groß den Groben Unfug in der Zossener Straße eröffnet und ein Heft herausgebracht: Grober Unfug. Abends trafen sich Kriki, Tom, Phil und Lilian Musli wie die Jazzer zu einer Art Jam Session und zeichneten. »Einer gab das Thema vor und zeichnete das erste Bild. Dann ging es reihum weiter, bis wir fertig waren. Das hat Spaß gemacht!« Heraus kamen relativ dünne Heftchen mit ziemlich langen Titeln wie: Der Tod, sein Sohn, das Meer und wir. Die Achtziger mit ihrer SEW, den Spontis, der ganzen Hausbesetzerszene, »das alles waren wunderbare Themen für die Zeichner der Witzbildchen! Es war die Blütezeit der Berliner Comic und Cartoonszene!«

Wenn Christian Groß erzählt – von den Kollegen, den Achtzigerjahren, der Zeit im Delirium, oder von seinem ersten Besuch in dem kleinen Ort auf Kreta, den er seit 30 Jahren jedes Jahr wieder besucht, und den er so liebt, daß es ihm Kopfzerbrechen bereitet, wenn seine Frau einmal nach Schottland fahren will: »Ich weiß gar nicht, was ich da soll!« – wenn Christian Groß so erzählt, dann ist da keine Spur von Boshaftigkeit. Auch in seinen Bildern zeigt Groß manchmal erstaunlich viel Gefühl. Als die zitty kürzlich mit einem Sonderheft ihren 30. Geburtstag feierte und ihren Karikaturisten viel Platz einräumte, um die schönsten Cartoons noch einmal abzubilden, entschied sich Groß unter anderem für einen eher untypischen und alten Beitrag, der noch gezeichnet war und »irgendwie etwas poetisches hat.« Er erschien 1983, doch noch heute kommen Anfragen zu einer Abdruckgenehmigung. »Berührung im Unendlichen« hat Groß diese ein bißchen melancholische, ein bißchen witzige Zeichnung betitelt, in der zwei Mathematikstudenten, ein weiblicher und ein männlicher, philosophierend vor einer graphischen Darstellung der Unendlichkeit sitzen.

Es ist eine der letzten Zeichnungen des Christian Groß. »Inzwischen sind die Collagen so ein bißchen meine Handschrift geworden!«, sagt er, und es klingt, als hätte sich das so ergeben. Zufällig, und ohne daß er hätte lange überlegen können, ohne seine Zustimmung. Ein bißchen klingt es, als trauere er dieser Zeit des Zeichnens noch nach. Den Anfängen. Den ganz frühen vielleicht sogar. Der Zeit in Solingen, der Unterprima. Als er sitzengeblieben war und in eine andere Klasse kam, wo sie alle nur dichteten und zeichneten. »Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich schon viel früher sitzengeblieben!«, sagt er.

Groß erinnert sich noch gut an die Namen seiner Mitschüler, an Detlef Fellrad, der immer Briefchen mit witzigen Zeichnungen herumgehen ließ, und jeder, bei dem es vorbeikam, malte etwas dazu. Da fing auch Christian wieder zu zeichnen an, der schon ganz die Lust daran verloren hatte, weil der Lehrer in der alten Klasse ihm ständig über die Schulter gesehen und in seine Zeichnungen reingeschmiert hatte, »und das konnte ich überhaupt nicht leiden!« Jetzt aber saß Christian neben Detlef Fellrad, und der war ständig am Kritzeln, ständig schob er ihm einen Zettel rüber und flüsterte: »Mal’ was dazu!« So entstanden allmählich zwei Figuren, der dickköpfige »Schelt« von Christian und der langnasige »Albricht« von Detlef, deren kleine Geschichten fortan auf vielen Zetteln in der Klasse die Runde machten. Überhaupt machte das Leben in der neuen Klasse viel mehr Spaß als in der alten, zumal noch andere »geniale Sitzenbleiber« hier gelandet waren. Sie malten, machten Musik und gründeten auf der Klassenfahrt nach London den »Lummerländer Knabenchor«, mit dem sie es immerhin bis in die »Show 77« und ins Solinger Tageblatt brachten. Obwohl keiner singen konnte. Sie waren eben witzig, und auch die Augsburger Puppenkiste bedankte sich für die kleine Hommage, Oehmichen selbst schrieb einen anderthalb Seiten langen Dankesbrief für die Ernennung zum Ehrenbürger von Lummerland durch den »Lummerländer Knabenchor«.

Vielleicht war es dieser erste Erfolg des Humors, der Christian Groß auf die richtige Spur brachte. Ebenso wie seinen Schulkameraden Detlef Fellrad, der jetzt am Bodensee wohnt. Auch der ist Künstler geworden.

Hans W. Korfmann

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