Kreuzberger Chronik
Februar 2007 - Ausgabe 84

Witzels Geschichten

Müller rasiert


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Autor unbekannt

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Für Kriminalhauptkommissar Müller fing die Woche an mit DreiTageBart. Sein Rasierer hatte kurz gesummt wie eine Hornisse, und das wars dann. Da half kein Schütteln und kein Klopfen. Er sah seinem Spiegelbild in die Augen: eins blau, eins grau. Diese Pupillen von seinem Vater konnte er nicht ausstehen. »Dauerts noch lange, Bernd?« rief draußen Frau Müller. Sie testete schon mal die Türklinke.

»Nein, Schatz«, antwortete er automatisch, zog den Stecker raus und warf das Teil in die rosarote MiniMülltonne unterm Waschbecken.

Anderthalb Stunden später betrat er sein Büro beim Abschnitt Zwoundfünfzig, Direktion 5, Friesenstraße 16, Vorderhaus, 2. OG. »Tach, Herr Krahlmann«, grüßte er den Anwärter aus Pankow.

»Morgen, Herr Hauptkommissar«, antwortete der und wedelte fröhlich mit einer Anzeige. »Ich hab hier einen ganz frischen Gaststätteneinbruch, schräg gegenüber vom Haus der Sozialdemokratie!« Müller seufzte. »Na, das ist ja ein dolles Ding. Da kann ich meinen Mantel gleich anbehalten.« Als sie in seinem blauen BMW saßen, guckte er in den Rückspiegel. Der war so weitwinklig, daß er sich selber in die Augen gucken konnte: GRRRRAUHUHUUH und BLLLAHAHAHAU ...

»Stimmt was nicht, Chef?« fragte Krahlmann, während der Kommissar dem Panoramaspiegel die Zunge rausstreckte. »Sie müssen noch viel lernen, Herr Krahlmann«, antwortete Müller, fuhr vom Parkplatz und dann links.

»Was denn, zum Beispiel?« fragte der Anwärter.

»Stillsein zum Beispiel.« Sie bogen vorm Flughafen rechts ab und
dann wieder rechts auf den Mehringdamm. »Hier bin ich als kleener
Piepel mit meiner Seifenkiste runtergebrettert und Zwölfter worden«,
erinnerte sich Müller. »Wollen Sie eigentlich mal heiraten, Herr Krahlmann?« wechselte er das Thema, da sie am Standesamt vorbeifuhren.

Der Anwärter schwieg. »Ich hab Sie was gefragt!« brummte Müller.

»Ja«, sagte Krahlmann.

»Ich glaub, ich hab die falsche Frau geheiratet«, sagte Müller. »Damals, als ich sie kennengelernt hab in der Tanzstunde in Kliems Festsälen, Hasenheide, Kreuzberger Seite, da gab es einen, der war so alt wie ich und hat immer behauptet: :Die Frau, die man liebt, die soll man nicht heiraten!9 Und der hats echt gepackt, der Junge. Hat die mieseste Braut vom ganzen Revier geheiratet, ist heute Regierungsdirektor und sitzt im Wanderparlament BrüsselStraßburg. Also, was für euch früher beim Warschauer Pakt der Kreml war, Herr Krahlmann, damit Sie wissen,
wovon ich rede.«

Der Anwärter dachte nach. Links zog die Trutzburg vom Finanzamt vorbei. »Am wichtigsten ist doch, Chef«, sagte er, »daß ich für meine Frau der richtige Mann bin und ihr die Sicherheit schenken kann, die sie braucht.«

Nach Feierabend fuhr Müller zur Gruppentherapie bei Dr. Gerloff am Tisch 3 vom Café Blümel. »Ich glaub, ich bin im falschen Film, Guntram«, platzte Müller mit seinem Frust heraus, »und das schon den ganzen Tag!«

»Egal«, antwortete Dr. Gerloff, »neues Quartal, neues Glück  Hauptsache, du hast die richtige Eintrittskarte.«

Es roch mal wieder sehr gut, als der Kommissar nach Hause kam. Er hängte seinen Mantel erst an den Haken und dann doch lieber auf einen Bügel. »Was gibts heute Schmausiges?« rief er.

»Falschen Hasen«, antwortete seine Frau fröhlich aus der Küche.

Später, als sie gegessen hatten, fragte er zögernd: »Sag mal, Schatz, schenke ich dir eigentlich die Sicherheit, die du brauchst?« »Natürlich«, sagte Frau Müller zu ihrem richtigen Mann. »Wenn ich mal nicht weiß, wo es langgeht, dann brauche ich dir nur in die Augen zu gucken und bin wieder ganz sicher: LLLINKS ist BLLLAU, und RRRECHTS ist GRRRAU!«


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