Kreuzberger Chronik
Februar 2007 - Ausgabe 84

Die Geschäfte

Cool & Clean


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von Günter Markquark

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Der Waschmaschinenverkäufer in der Yorckstraße hat ein freundliches Gesicht. Er trägt, obwohl er in einem gut geheizten Laden sitzt, gern eine Wollmütze. Seine großen und wachsamen Augen blicken durch große, runde Brillengläser. Hätte er graue Haare und einen weißen Bart, dann gäbe er einen guten Weihnachtsmann ab.

Doch Nassim Kablaoui kam 1970 nicht nach Berlin, um mit freundlichem Gesicht Waschmaschinen zu verkaufen. Er kam, weil er »kämpfen wollte«, und den Libanon hatte der Architekturstudent nicht ganz freiwillig verlassen: Der junge Mann hatte Überzeugungen. Die politischen unter ihnen haben ihm das Leben nicht immer leicht gemacht. Begonnen hat er im gewählten deutschen Exil als Tellerwäscher  Millionär ist er »trotzdem nicht geworden«. Aber schon nach zwei Monaten war er Koch in einer Pizzeria. 1973 stand er hinterm Tresen in einer finsteren Kneipe am Kotti, wo der Tag gleich um 9 mit Kornrunden begann. Danach kochte er wieder, diesmal in einem arabischen Restaurant, und anschließend landete er im Godot und mitten in der sogenannten Szene. Da lief ihm eines Tages dieser Bernd Schulz über den Weg, und dieser Bernd Schulz war der Wirt von der Nulpe. Vielleicht der berühmtesten,auf jeden Fall der berüchtigtesten und auch einer der lukrativsten Kneipen Berlins. Irgendwann also stand der libanesische ExStudent dann hinter dem Tresen der Nulpe. Bis am Südstern ein Kneipenkollektiv gegründet wurde: der Sternling.

Jetzt verkauft Nassim Kablaoui Waschmaschinen. Seit 15 Jahren schon. Waschmaschinen, Geschirrspüler, Elektroherde und Kühlschränke. »Die coolsten Kühlschränke von Berlin«  das war sein Slogan, als er noch ein frischgebackener Waschmaschinenverkäufer war. Aber es wollte ihm kein Name für den Laden einfallen. Also fragte er Peter Blaar, einen dieser Typen, die immer in der Nulpe herumhingen, und die immer irgendwelche Ideen hatten. Peter setzte sich zu Helmut, der sonntags in der Nulpe Klavier spielte. »Die Beiden konnten sich nicht ausstehen, aber sie saßen fünfzehn Jahre lang immer am gleichen Tisch.« Und irgendwann erhob sich Peter und sagte: »Cool & Clean.« Und vereinigte damit in einem dreisilbigen Satz die beiden populärsten Adjektive der Siebzigerjahre.

Cool & Clean war aber nicht das Paradies auf Erden. Obwohl die Waschmaschine für die weibliche Hälfte der Menschheit einmal an der Schwelle zum Paradies stand. Keine Erfindung seit dem Rad war wichtiger als die rotierende Trommel mit der Waschlauge. Heute ist die Waschmaschine Alltag. Und es gibt Menschen, die sich alle drei Jahre eine neue kaufen. So wie andere ständig das Auto, die Hose, den Fernseher wechseln. Nur weil sie tropft. Das ist traurig. Aber jetzt kümmert sich Nassim Kablaoui um all diese unrechtmäßig aus dem Dienst entlassenen Maschinen.

Obwohl es Spannenderes gibt. Die Reparaturen bieten wenig Abwechslung, immer ist es die Pumpe, die Dichtung oder die Elektrik. Auch die Kunden fragen immer dasselbe. Oder sie rufen an und erzählen einem, daß der Kühlschrank doch nicht in die Ecke paßt. »Man muß aufpassen, daß man nicht dumm wird hier drin!« Aber der Laden läuft und ernährt den Vater und die zwei Kinder und die Geschäftsinhaberin, Nassim Kablaouis Frau. »Sagen wir, es ist nicht schlechter geworden, seit ich angefangen habe. Wenn es schlechter liefe, müßte ich mir etwas Neues einfallen lassen!« Aber das Angebot ist gut, und der Händler der Gebrauchten gibt ein Jahr Garantie. Die Maschinen sehen so neu aus wie bei Karstadt. Aber sie kosten nur einen
Bruchteil. Obwohl bei Cool & Clean die Lieferung und die Entsorgung des Vorgängermodells im Preis enthalten sind.

Die TopModelle tragen auch bei Nassim Kablaoui den Namen Siemens oder AEG. »Was das gleiche ist. Weil Siemens alles gekauft hat. Heute
Foto: Dieter Peters
ist alles Siemens!« Gleich mehrmals hat er also den Siwamat in seinen Reihen, den VW der Waschmaschinen. Ohne Trockner für 175, mit Trockner für 297. Oder die legendäre Konstrukta, die in jede Ecke paßte. Aber auch richtige Raritäten wie diese halbierte Waschmaschine, gerade mal 35 cm tief. Oder die Siemens Edition 150 in revolutionärem Hellblau.

Und nicht nur Gebrauchtes wartet bei Nassim auf ein neues Zuhause. Gerade hat er eine ganze Reihe funkelnagelneuer Elektroherde mit Ceranfeldern im Sortiment, die wegen kleiner Fehler wieder an den Hersteller zurückgingen. Auch die metallicfarbenen Kühlschränke haben noch kein einziges Bier gekühlt, weil die Tür klemmte oder der Stecker defekt war. Einige sind nur wegen eines kleinen Kratzers im Gebrauchtmaschinensortiment gelandet.

Aber spannend ist es trotzdem nicht in dem Laden mit den vielen weißen Waschmaschinen und den zwei einsam im Aquarium stehenden Goldfischen. Unter dem Bild an der Wand, das Nassim Kablaoui aus der Zeitung ausgeschnitten und auf Postergröße gebracht hat. »Das ist Fußballphilosophie«, sagt er, »das ist das Beste, was es je gab!« Auf dem Bild steht der kleine Maradona neben dem großen Menotti und schaut zu ihm auf. Menotti hat den Fuß auf dem Ball wie ein Jäger auf erlegter Beute. Das Bild ist von 1978.

Da hatte Nassim Kablaoui den Sternling am Südstern schon wieder verlassen. »Weil nie Geld in der Kasse« der Kollektivkneipe war. »Obwohl alle arbeiteten wie verrückt!« Nassim Kablaoui wußte immer, wann es Zeit war, etwas Neues anzufangen. Vielleicht war er der einzige, der ein paar Mark aus dem Sternling rettete. Damit eröffnete er einen Imbiß, der wiederum so viel Geld abwarf, daß Kablaoui eines Tages jenes Lokal kaufen konnte, in dem er einst als Zapfer hinter dem Tresen gestanden hatte: die Nulpe.

12 Jahre lang war er der Wirt, jede Nacht, selbst schon Legende. »Ich bereue nichts«, sagt er, »ich habe viel gelernt. Die Kneipe war voller Intellektueller, man sprach über Gott und die Welt. Und ich war immer dabei!« Aber eines Tages wurde er Vater, und die langen Kreuzberger Nächte machten müde. Er suchte wieder mal nach etwas anderem. Da fiel ihm der Nachbar ein, der schon seit Jahren erzählte, daß er sein Geschäft verkaufen wolle. Es hieß damals Werkzeugkiste, obwohl es eigentlich nur Waschmaschinen gab. Gebrauchte Waschmaschinen.

Jetzt verkauft Kablaoui kein Bier mehr, sondern Waschmaschinen. Und nebenan, wo einst die Nulpe war, heißt das Lokal jetzt Enzian. Dort sind längst andere Gäste eingezogen, kaum etwas erinnert noch an die Nulpe. Nur im kühlkahlen Waschmaschinenladen hängen noch einige Erinnerungen. Es sind die Skizzen der Malerin Christine Arweiler, die einst mit ihrem Block in der Nulpe saß. Da sind sie noch, die alten Freunde aus der Nulpe: da ist der Klavierspieler, der nach den lauten Jazzkonzerten und den wilden Rockbands sonntags Chopin spielte; da ist Thula, die hinten in der Küche kochte; die Bauchtänzerin, die jeden Donnerstag tanzte; da ist der Autor, der die TatortDrehbücher schrieb. Und Nassim, der Mann, der hinter so vielen Tresen gestanden hat.



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