Kreuzberger Chronik
September 2006 - Ausgabe 80

Die Geschäfte

Die Fehrmanns von Caprice Head


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von Ursula Obermüller

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Der Laden in der Skalitzer Straße 104 ist so schmal und so hoch, daß bis vor einigen Jahren niemand auf den Gedanken gekommen wäre, dort ein Geschäft zu eröffnen. Bestenfalls ein Bierschenk wäre vielleicht auf die Idee gekommen, noch eine dieser winzigen Berliner Kneipen zu eröffnen, die sich »Schmales Handtuch« nennen und gerade mal Platz für einen langgestreckten Tresen, ein paar Barhocker und einen Zigarettenautomaten bieten.

Doch jetzt ist die Skalitzer Straße fest in internationaler Kleinunternehmerhand mit manchmal winzigen Auslagen. Da reiht sich das kleine Sushi Asia Bistro neben die Pizzeria Dolce Vita mit ihren Minipizzen, und der Cuaför Salonu mit seinen zwei Stühlen neben Deniz Restaurant. Dazwischen eingezwängt steckt seit einem Jahr der Frisiersalon Caprice Head, der den Deutschen Anika und Elke Fehrmann gehört.

Auch früher schon arbeitete hier ein Frisör, aber der sprach, so wie die meisten in der Straße, nur türkisch. Deutsch ist selten worden bei den Frisören am Kotti. Dabei sind die Gespräche so wichtig. Gute Frisöre verstehen es, ihre Kunden während des Schneidens mit Worten einzulullen! Da versinkt der Kunde »regelrecht in Trance!« Vor allem die männlichen Kollegen aus dem Gewerbe beherrschen das hypnotische Schmeicheln perfekt. Die schneiden manchmal einen katastrophalen Schnitt, erzählen den weiblichen Kunden aber eine Stunde lang, wie wunderbar schön sie sind, und am Ende »schweben die auf die Straße und glauben, sie sind die Schönste im Land. Dabei sehen sie einfach Scheiße aus!«

Mutter und Tochter
Foto: Dieter Peters
Elke Fehrmann sagt es, wie es ist. Sie ist zu lange im Geschäft, um noch ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Sie hat die Mauer wachsen gesehen, sie hat die Mauer fallen gesehen, sie hat zehn Jahre lang in Kudammnähe gearbeitet. Bis die Chefin in der Konstanzer Straße eines Tages einen Meister des Feng Shui ins Haus lud, der feststellte, daß Elke Fehrmann einfach nicht genügend positive Energie mitbringe ins Geschäft. Sie habe zwar Feuer, aber sie zünde nichts an. Außerdem würden die Sternzeichen der beiden Frauen nicht harmonieren, die Trennung sei unvermeidlich. »Also wurde ich entfernt. Nach beinahe zehn Jahren der Zusammenarbeit!«

Die Angestellte Fehrmann aber ist eine, die so schnell nicht aufgibt. Sie suchte sich einen neuen Arbeitgeber, und zwar gleich gegenüber. Dort hängte sie ein großes Schild ins Fenster, damit ihre Stammkunden sie auch wiederfinden würden: »Elke ist jetzt hier drüben, andere Straßenseite!« Und wenn sie sah, wie drüben eine ihrer Patientinnen entlangwanderte, dann winkte sie und rief: »Hier bin ich!« Die meisten Frauen folgten dem Lockruf. Sehr zum Ärger der Chefin, die trotz Feng Shui erst einmal auf dem trockenen saß.

Irgendwann aber wurde die Frisörmeisterin dann doch arbeitslos. Also machte sie sich auf die Suche nach einem Stuhl. Einem Frisierstuhl. Denn das gab es ja jetzt auch hier schon: Stühlemieten wie in Amerika. Zwei Tage lang ist sie von Frisiersalon zu Frisiersalon gegangen und hat nachgefragt, ob nicht irgendwo noch ein Stuhl frei wäre, auf dem sie ihren inzwischen schon ganz respektablen Kundenstamm bedienen konnte. In der Leibnitzstraße wurde sie fündig und gründete ihre Ich-AG. Zum Nichtstun ist Elke Fehrmann zu kreativ.

Und dann kam eines Tages die Tochter zu ihr. Ihre geliebte Anika, die eigentlich Maskenbildnerin hatte werden wollen und dann doch in die Fußstapfen der Mutter trat und Frisörmeisterin wurde, weil das Frisieren Voraussetzung für die Ausbildung zur Maskenbildnerin war. Und irgendwann begann auch die Tochter, mit Kamm und Schere Geld zu verdienen. Doch der Arbeitgeber der jungen Frau war ein junger Mann, und es dauerte nicht lang, da waren Chef und Mitarbeiterin ein echtes Paar. Als der potentielle Schwiegersohn eines Tages beschloß, die Filiale in der Skalitzer Straße 104 aufzugeben, um sich auf seinen zweiten Salon zu konzentrieren, fragte er bei der potentiellen Schwiegermutter an. So wurde aus der Angestellten Fehrmann die Selbständige Fehrmann.

»Das war natürlich eine ganz schöne Umstellung, vom Kudamm zum Kotti.« Die neuen Nachbarn in der Straße mit ihren Pizzabäckereien und Dönerspießen und Frisier-Salonus grüßten kaum oder gar nicht. Die gelernte Angestellte aber ließ, zur Höflichkeit erzogen, keinen aus und grüßte hartnäckig immer weiter. Sie rief ihnen den »Guten Morgen« zu, wenn sie kamen, und den »Schönen Feierabend« hinterher, wenn sie gingen. Bis sie irgendwann zurückgrüßten. Und ihr die Leiter liehen. Und ihr den Tee ins Geschäft brachten. Und ihr zuflüsterten, sie brauche sich am 1. Mai keine Sorgen um ihren kleinen Frisiersalon zu machen, sie würden schon auf ihn aufpassen.

Am Kudamm war das anders. Da war man anfangs freundlicher gewesen, aber später dann etwas reservierter. Da kamen Vivi Bach oder Rolf Eden, und auch die Frau vom Johannes Heesters »hab ick öfter gemacht«, aber so richtig warm konnte man mit denen nicht werden. Auch hier in Kreuzberg kommen wieder Künstler zu Elke Fehrmann und möchten plötzlich einen Polizeischnitt oder eine Pagenfrisur, aber »irgendwie sind die Künstler hier angenehmer ...«

Und nicht nur die Künstler, die Nachbarn und die Kunden sind angenehmer. Auch mit der neuen Mitarbeiterin ist sie zufrieden. Denn Anika ist ihre Tochter, und Mutter und Tochter scheinen in seltener Harmonie zu agieren und sich perfekt zu ergänzen. Während die eine sich auf klassische Schnitte und klassische Gespräche über Gott und die Welt versteht, kichert die junge Frisörmeisterin mit ihren Kundinnen über Männer und steckt die Frisuren so hoch, daß den abendlichen Bewerbern schon beim Hinschauen schwindlig wird.

Hoch oben, manche in einer Höhe von über drei Metern, hängen auch die Bilder der Malerin Elke Fehrmann. 1996 stellte sie mit George Classen und Rolf Kiesewetter in der Galerie 66 aus. Das erste Bild, das für 600 Mark über den Ladentisch ging, war eines von ihren. Einen Moment lang glaubte sie, vielleicht doch noch hauptberuflich Künstlerin zu werden. Denn auch Elke Fehrmann hatte, genau wie ihre Tochter, eigentlich einmal etwas ganz anderes vorgehabt: Sie hatte Kunst studieren wollen. »Aber in der DDR war es mit Studienplätzen für Kunst nicht so weit her.« Und so wurde sie Frisöse.

Den Traum vom Malen jedoch gab sie nie ganz auf. Zu DDR-Zeiten fuhr sie am Wochenende um 4 Uhr morgens bis in die Nähe von Dresden auf den Trödel nach Suhl, nur um ihre Bauernmalereien auf Tellern und Brettchen zu verkaufen. Nach der Wende begann sie, auf Leinwand zu malen. Jetzt hängen ihre Bilder in der eigenen Galerie. Denn nichts anderes ist dieser schmale Salon mit den hochgestreckten, orangefarbenen Wänden. Manchmal, wenn ein Kunde kommt, muß die Tochter nach ihrer Mutter rufen. Die Antwort kommt aus einer kleinen Kammer ganz hinten im schmalen Raum. »Einen Moment, ich muß nur noch den Pinsel auswaschen!« Und dann nimmt die Malerin wieder die Schere in die Hand.


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