Kreuzberger Chronik
Oktober 2006 - Ausgabe 81

Essen, Trinken, Rauchen

Kreuzberger Imbisse (2):
Die Bockwurst



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von Michael Unfried

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»Kein Bock!«, sagte der eine.

»Bockwurst fänd ich ganz gut«, sagte der andere. »Hier gibts keine Bockwurst. Hier ist die Skalitzer, hier gibts Döner oder Falafel!«

»Blödsinn, Pommes und Curry gibts überall!«

Die zwei ausgedienten Punker liefen die ganze Skalitzer Straße entlang, bis sie endlich einen Imbiss fanden, an dessen Tresen schräg einige Gestalten lehnten, die an ihren Schultheiß nuckelten und von Olli Kahn sprachen, als hätten sie gestern mit ihm Bier getrunken. Es war unergründlich, ob sie sich schon länger kannten, oder ob der Durst sie zufällig zusammengebracht hatte. Auf jeden Fall waren sie sich einig, daß Olli Kahn die Elfer bei der WM genausogut gehalten hätte wie der Lehmann. Wenn nicht besser. Und daß der Netzer ein Schwätzer war. Da nickte auch der Wirt. Der Netzer war ein Schwätzer. »Der hält sich für was Besseres. Dabei ist er auch nur Fußballer!«

»Eine Bockwurst bitte!«, sagte der eine. »Zwei!«, sagte der andere. »Mit Pommes!«, sagte der eine. »Und Majo!«, sagte der andere. »Ein Bierchen dazu?«, fragte der Wirt.»Nö!«, sagte der eine. »Ne Cola!« »Auf jeden Fall redet der Netzer immer so, als hätten sie früher alles besser gemacht«, sagte der Dickste der Biertrinker. »Ne Bockwurst hat mehr Hirn als der!«, sagte der Wirt. »Schöner is se auch!«, ergänzte der Dicke. »Und gebildeter!«, meinte der Wirt. »Wißt ihr überhaupt, daß hier der Geburtsort der Bockwurst ist?« »Quatsch!«, rief der mit der Glatze. »Die kommt von der Friedrichstraße.«

»Genau«, rief der Dicke und warf vor lauter Euphorie mit dem Ellenbogen das Bier um. »Löwenthal. Der machte mit seiner Wurst den Breslauern, Krakauern und Wienern Konkurrenz. 1889.«

»Ihr wißt ja mehr als der Netzer«, sagte der Wirt. »Noch ein Bierchen?« »Na aber Hallo!«, sagte der Dicke. »Friedrichstraße Ecke Krausenstraße.« »Aber die Wurst vom Löwenthal war namenlos. Bis sie in die Skalitzer kam.« »Wieso?«, fragten die vereinigten Biertrinker wie aus einem Munde. »Weil hier, in der Skalitzer 46b, mal die Eckkneipe vom Scholz war.

Der verkaufte Bier und Schnaps und reichte dazu Wurst mit Salat oder Soße. Oder auch einfach ne »Kahle«. Natürlich hat der Scholz von der Wurst in der Friedrichstraße gehört, gleich welche gekauft, und als abends ein paar Studenten zum Feiern kamen, waren sie ganz begeistert von dem vielen Bockbier und der neuen Wurst. Und weil die Wurst so gut zum Bier paßte, nannten sie die »Bockwurst«, und die Kneipe hieß dann überall nur noch »Bockwurst-Scholz«.

»Und wieso heißt das Bier eigentlich Bockbier?«, wollte der Dicke wissen. »Bin ich Netzer oder was?«, sagte der Wirt. »Nee, aber Wirt. Und ein Wirt muß so was wissen.« »Also«, sagte der Wirt, »in Niedersachsen gibts einen Ort, der heißt

Einbeck, und das starke Bier aus Einbeck hieß »Einbecker«. Und das heißt heute noch so, worauf die Einbecker immer noch großen Wert legen. Selbst Göttinger können das bestätigen, und wenn du was anderes sagst, dann werden sie böse. Aber dann kam das Bier nach Bayern, und weil die Bayern eben sprechen wie die Bayern, wurde aus Einbecker irgendwann »Oanpoker« oder »Oanpock« draus. Und daraus dann das Bockbier und daraus die Bockwurst ...«

»Du bist ja schlimmer wie der Netzer!«, sagte der Dicke.

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