Kreuzberger Chronik
April 2006 - Ausgabe 76

Strassen, Häuser, Höfe

Die Boppstraße


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von Werner von Westhafen

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Die Boppstraße ist eine unbedeutende. Nicht einmal die Taxifahrer kennen sie, es sei denn, sie kommen aus Kreuzberg. Die wichtigen Straßen sind nach Politikern benannt oder nach Wissenschaftlern, deren Forschungen einen nachweislichen Nutzen hatten. Nach erfolgreichen Medizinern etwa, neben deren Arbeit die der Geisteswissenschaftler stets ein Schattendasein führte und gern als Luxus betrachtet wurde.

Franz Bopp allerdings ist es gelungen, einen Begriff in die Welt zu setzen, der auch den pragmatischsten Wissenschaftlern und Studenten, ja sogar dem gemeinen lesenden Volk durchaus geläufig ist, denn er bezeichnet ein allgemein bekanntes Studienfach, ein Fach, das zudem erst mit Franz Bopp ins Leben gerufen wurde: Das Fach der Vergleichenden Sprachwissenschaften. Er war es, der mit seiner »Vergleichenden Grammatik des Sanskrit, Zend, Grie chischen, Lateinischen, Litauischen, Altslavischen, Gotischen und Deutschen« die enge Verwandtschaft zwischen fast allen Sprachen Europas und vielen Sprachen des Orients, und schließlich auch die Existenz einer sogenannten indogermanischen Ursprache nachwies.

Schon 1818 hatte der gewissenhafte Sprachforscher eine Grammatik veröffentlicht, in der er verschiedene Vokabeln miteinander verglich. In seinem Werk »Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache« stellte er zum Beispiel das deutsche Wort Bruder u. a. neben das altindische »phrater«, das persische »brata«, das griechische »phrater«, das römische »frater« und sogar das isländische »brathir« und nannte die auffälligen Übereinstimmungen des phonetischen Kerns »indogermanisch«. Das Wort bezeichnete ein Sprachgebiet, das sich von Indien bis Island erstreckt, und damit eine Grundsprache, die von drei Milliarden Menschen, also etwa der Hälfte der Weltbevölkerung gesprochen wird. Der unbekannte Bopp konnte nachweisen, daß auch so fremdartig klingende Sprachen wie das Keltische, das Altpreußische und das Albanische einen gemeinsamen indogermanischen Sprachstamm besaßen.

Seine Erkenntnisse allerdings waren nicht ganz neu. Insbesondere Friedrich Schlegel war es, der bei seiner Beschäftigung mit dem Sanskrit auf die vielen Parallelen zwischen geographisch weit voneinander entfernten Sprachen hingewiesen und geschrieben hatte: »Die Ähnlichkeit liegt nicht bloß in einer großen Anzahl gemeinsamer Wurzeln, die sie mit ihnen gemein hat, sondern sie erstreckt sich auf ihre innerste Struktur und Grammatik«.

Auch andere Philologen hatten bereits über die gemeinsamen Sprachstämme geforscht, doch Franz Bopp war es, der mit ungeheuerlicher Konsequenz allen auch noch so weit verzweigten Spuren nachging, der mit einem gewaltigen Fleißaufwand und unendlicher Geduld den Beweis erbrachte. Bopp war kein Visionär, kein Abenteurer auf den verschlungenen Wegen des menschlichen Geistes, er war ein braver, gewissenhafter Arbeiter. »Die Bedeutung des Werks«, schreibt sein Biograph Benfried Schlerath, »liegt nicht in einer neuen Entdeckung, sondern in einer systematischen und beharrlichen Durchführung des grammatischen Vergleichs. (...) Bopp war kein Sprachgenie, (...) gerühmt werden seine Geradlinigkeit, seine Bescheidenheit.«

Franz Bopp, 1791 als das sechste Kind des kurfürstlichen Futter und Wagenschreibers Andreas Bopp zur Welt gekommen, konnte in Mainz und Aschaffenburg das Gymnasium besuchen, wo er im »Philosophischen Cursus« dem Lehrer Carl Joseph Hieronymus Windischmann begegnete, der den Verlauf des Boppschen Lebens nachhaltig bestimmen sollte. Der Ordinarius für Philosophie kümmerte sich über viele Jahre hinweg um seinen akademischen Zögling und ebnete Bopps Gang durch die Institutionen, indem er seinem Schüler zu Stipendien verhalf und die finanzielle Grundlage für das zeitraubende Studium schaffte.

Doch auch Windischmann profitierte von Bopp, der sich auf Anraten seines Professors bei seinen Studien auch dem Sanskrit zuwandte, einer Sprache, die der Philosoph Windischmann gerne beherrscht hätte, um die alten indischen Texte zu lesen, die gerade in die philosophische Mode gekommen waren. Immer wieder übersetzte nun Bopp Texte für seinen Lehrer aus dem Sanskrit ins Deutsche, damit dieser endlich »Einblicke in die östlichen Weisheiten« gewinnen konnte. Er übersetzte so viel, daß Windischmann zwischen 1827 und 1834 endlich seine »Grundlagen der Philosophie im Morgenland« veröffentlichen konnte. Als Windischmann jedoch bei seinem Schüler, der inzwischen selbst Professor ist, wegen einer Rezension anfragt, lobt Bopp in einem Brief das Werk artig als großartig, um dann hinzuzufügen, daß er der Philosophie doch längst den Rücken gekehrt habe und sich aus diesem Grunde »zu einem öffentlichen Urteile darüber nicht kompetent fühle«. »So leicht, alter Freund, wie Sie mir entkommen wollen, lasse ich Sie nicht los«, schreibt Windischmann zurück, doch eine Rezension Bopps wird tatsächlich nie veröffentlicht.

Der nicht ganz uneigennützige Ratschlag des Lehrers, sich dem Sanskrit zuzuwenden, bestimmte Bopps Leben. 1812 reist er, gerade 21 Jahre alt, nach Paris, um bei dem Orientalisten Silvestre de Sacy Sanskrit zu lernen. Da das Fach jedoch noch nicht im Angebot war, besuchte er Lesungen in Arabisch und Neupersisch und eignete sich das Sanskrit in der Dachstube an. Er las die gesamte Mahabharata, was bis heute, trotz umfangreicher Wörterbücher, nur wenige geschafft haben sollen, und was auch de Sacy nicht neidlos beobachtete. Jedenfalls schrieb Bopp an Windischmann, daß der Orientalist ihn wahrscheinlich »lieber am Ganges als an der Seine« sähe. Über die romantische Stadt an der Seine schreibt Bopp nichts, auch nicht über die Frauen, nicht über Napoleon, nicht über den Donner der Kanonen. Das Studium lag ihm »zu sehr am Herzen, als daß« er sich »durch die äußeren Vorfälle davon hätte abhalten lassen können.« Auch die Bekanntschaft mit Alexander von Humboldt, der in Paris seine Reise um die Welt vorbereitete, erwähnt der Bücherwurm nur am Rande.

Doch Humboldt war es, der Bopp, nach vielen Schmähungen durch Neider und Widersacher, 1821 endlich den ihm gebührenden Platz an der Universität und einen Lehrstuhl für »Orientalische Literatur und Allgemeine Sprachkunde« einrichtete. Und jetzt plötzlich machten die Bayern, die Bopp mit Stipendien gefördert, aber keine Verwendung für ihn hatten, Ansprüche geltend. Doch die Berliner lösten die Probleme schnell und endgültig, und schon 1822 gehörte Bopp der Akademie an. Bopp schreibt an seinen alten Lehrer: »Ich will mich mit Dank der preußischen Regierung hingeben, die mich viel artiger behandelt hat als die Bayrische«, und: »In Berlin gefällt es mir mehr und mehr. Ich fühle wenig Verlangen, es je wieder zu verlassen.«

Werner von Westhafen

Literaturnachweis: Berlinische Lebensbilder, Band 60, Colloquium Verlag, Berlin,


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