Kreuzberger Chronik
April 2006 - Ausgabe 76

Die Geschäfte

Der Jobshop


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von Erwin Tichatzek

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Das Kapital wächst, doch die Arbeitslosen werden mehr. Nur die Schlangen vor den Berliner Arbeitsämtern werden kleiner. Das liegt zum Teil am Arbeitsdienst, zu dem die Langzeitarbeitslosen gezwungen werden, zum Teil aber auch an den etwa 250 privaten Arbeitsvermittlungen in Berlin. Da hängen die Jobs im Schaufenster wie die lockenden Angebote von Lastminuteflügen oder die Wannseevillen bei Immobilienhändlern.

Und auch, wer vor dem kleinen Schaufenster in der Gneisenaustraße stehenbleibt, wird kaum einen Unterschied finden zu jenen Angeboten, die in der Zeitung oder auf dem Arbeitsamt ausgeschrieben sind, und die doch alle irgendeinen Haken haben oder »leider schon vergeben« sind. Den Arbeitsvermittlungen haftet längst der Geruch des Unseriösen an, wenn nicht des Kriminellen.

Denn sie vermitteln Arbeitsplätze gegen Provision. Und so wie Castingagenturen mit dem Traum junger Mädchen von Film und Laufsteg Geld machen und profitgierige Immobilienhändler mit dem Traum vom eigenen Heim, so machen diese jetzt Geld mit dem Traum vom eigenen Arbeitsplatz. Es hat sich ein florierender Handel mit den Jobs entfaltet, auf dem es nicht weniger zwielichtig zugeht als bei den legendären Gebrauchtwagenhändlern in den Schmuddelecken der Städte, die für jeden zweiten Tatort der 80er Jahre die Kulisse boten.

Umstritten sind die privaten Arbeitsvermittlungen vor allem ihrer Skrupellosigkeit wegen. Sie verlangen allein für die Aufnahme in ihre Kartei bis zu 60 Euro, noch einmal bei erfolgreicher Vermittlung mindestens ein komplettes Monatsgehalt vom zukünftigen Arbeitnehmer. Darüberhinaus wollen viele nur dann tätig werden, wenn der Kunde sich vertraglich verpflichtet, keinen Seitensprung zu einer anderen Agentur zu machen. Am liebsten wäre ihnen, wenn sich ihr Klient ganz aus der Arbeitssuche heraushält. Sie würden ihm gerne das Zeitunglesen verbieten, wenn sie könnten. Denn dort suchen auch sie und lassen ihre vom Arbeitsamt bezahlten Praktikantinnen die Wochenendausgaben nach Arbeitsstellen durchsuchen.

Schwarze Schafe gibt es überall, und ihr schlechter Ruf verfolgt auch jene, die es fair meinen. Hanna Sostak sagt, daß auf die Ausschreibungen in Tageszeitungen schon vor Jahren »pro Angebot mehr als 600 Anfragen« von Arbeitssuchenden kamen. »Heute hört man von 3.000 Antwortschreiben auf eine Stellenausschreibung.« Von denen 2.990, von Praktikantinnen aussortiert, in den Papierkorb wandern. »Da macht es keinen Sinn, in der Zeitung zu blättern. Wir bemühen uns deshalb, direkt an die Unternehmer heranzukommen«, sagt Hanna Sostak. Und es ist tatsächlich schon passiert, »daß plötzlich die Reifen vor dem Laden quietschen, ein Bauunternehmer herausspringt und sagt: Ich brauch dringend sechs Leute.«

Die Aussicht auf Erfolg in der Gneisenaustraße ist nicht schlecht. Obwohl es den »Jobshop« erst ein halbes Jahr gibt, befinden sich bereits 400 Arbeitssuchende in dem elektronischen Karteikasten der Kreuzbergerin. Auch für die Arbeitssuchenden sind die Aussichten gut: Der Durchschnittslohn der vermittelten Arbeitsplätze läge, so die Geschäftsführerin, etwa bei 1.400 Euro. Man schaut auf die Preise. Denn obwohl das Gesetz von 6,50 Euro Mindestlohn noch keine Realität in Deutschland ist: Im Jobshop versucht man, sich schon jetzt an diese Demarkationslinie zu halten.

Allerdings wollen sich viele Anbieter tariflich nicht festlegen und bieten Provisionen oder eine leistungsorientierte Bezahlung an, wie zum Beispiel in der Hotelbranche, wo »Zimmermädchen« oder »Roomboys« pro Zimmer und nicht mehr nach Zeit bezahlt werden. Immerhin bleibt der Lohn in diesem Fall überschaubar. Ganz frei von Ausbeutern sind jedoch auch die Angebote in der Gneisenaustraße nicht immer: Zumindest auf der Internetseite des Arbeitsladens findet sich ein privater Si
Foto: Dieter Peters
cherheitsdienst, der bei der Einstellung neuer Sicherheitskräfte erstens eine kostenintensive Schulung zur Voraussetzung macht und darüber hinaus auch noch Jobs in Brandenburg für 4,23 Euro anbietet. Seinen persönlichen Kunden aber bietet Jobshop solche Niedriglöhne nicht an.

Gerne dagegen vermittelt Hanna Sostak das Angebot eines Bauunternehmers, der keine Arbeitnehmer unter 35 Jahren wollte, sondern gestandene Männer mit langjähriger Berufserfahrung. Und zwar sämtlich zum Tariflohn. »Das größte Erfolgserlebnis« für Hanna Sostak aber war die Vermittlung eines jungen Mannes, der als Zweigstellenleiter eines Umwelttechnikunternehmens eingestellt wurde und nun selber immer wieder auf der Suche nach Mitarbeitern ist: in der Gneisenaustraße.

Die erste Bilanz nach einem knappen halben Jahr sind ca. 50 vermittelte unbefristete Arbeitsplätze. Davon allein kann die Agentur kaum leben. Zumal die Vermittlungsgebühr, die in der Regel das Arbeitsamt übernimmt, erst dann fällig wird, wenn der Kunde ein halbes Jahr in Lohn und Brot steht. Deshalb bietet Hanna Sostak neben der Vermittlung von Arbeitsplätzen noch andere Dienstleistungen an.

Die Coachingsitzungen, die die ehemalige »Integrationsberaterin« neben der Jobvermittlung für jene abhält, die aufgrund des sich ständig verändernden Arbeitsmarktes die Orientierung verloren haben, zahlt das Arbeitsamt noch nicht. Sie sind bestenfalls als Werbungskosten absetzbar  für den Fall, daß sich das Coaching bezahlt gemacht hat und man Steuern zahlen darf.

Dabei gehört Hanna Sostak offensichtlich auch hier nicht zu den schwarzen Schafen der Branche, die auf der inflationären Welle von Supervision und Coaching ihre Dienste anbieten. Hanna Sostak hat bereits als Arbeitsvermittlerin der Union Sozialer Einrichtungen Lehrgänge geleitet, sie ist in die Unternehmen gegangen und hat sich mit deren Leitern an einen Tisch gesetzt. Sie hat Trainingsprogramme für Arbeitnehmer ausgearbeitet, und sie hat, nicht zuletzt, selbst viele Jahre als Arbeitnehmerin alle möglichen Facetten des Berufslebens kennengelernt und ein Wissen angesammelt, das sich nun bezahlt machen könnte. Für sie und auch für ihre Kunden. Und sie weiß, wie schwer es ist, sich immer wieder allein durchzuschlagen. »Ich bin jetzt auf der Suche nach anderen kleinen Agenturen, die ähnlich wie wir arbeiten«, sagt die JobshopBesitzerin. Sie möchte nämlich, im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen, ihre Daten über Arbeitssuchende auch anderen Agenturen zur Verfügung stellen, damit die Arbeitgeber nicht »mit leeren Händen« gehen müssen. Und damit sich die Chancen für Arbeitsuchende verbessern. Es sollten Agenturen möglichst in der Nähe sein. Denn im Grunde ist sie so etwas wie ein TanteEmmaLaden der Jobindustrie, die meisten ihrer Kunden kommen aus dem Kiez. Arbeitslose gibt es hier schließlich genug. Und wenn sich genügend Kollegen zusammengefunden haben, dann könnte ein Netzwerk entstehen. Ein Kreuzberger Netz, das die Arbeitslosen aus dem Kiez vor dem Sturz ins Nichts bewahrt.

Erwin Tichatchek

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