Kreuzberger Chronik
Mai 2005 - Ausgabe 67

Herr D.

Herr D. und der Hausmeister


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von Hans W. Korfmann

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Herr D. mochte keine Hausmeister. Schon als Kind machten sie einen schlechten Eindruck auf ihn. Sie sprachen nicht, sie bellten. Sie waren meistens fünfzig Jahre alt, hatten einen bösen Blick und zogen ein Bein nach. Wenn sie einmal etwas sagten, dann sagten sie etwas über den Krieg oder »Adolf«. Das schlimmste an ihnen war, daß sie keine andere Aufgabe zu haben schienen, als die Kinder aus den Höfen zu jagen. Die Berliner Hausmeister waren noch immer wie diese Nachkriegshausmeister.

Eigentlich sprach ganz Berlin in diesem Hausmeisterton. Sie wußten immer alles besser, besonders Akbademikern gegenüber. Der Hausmeister im Haus von Herrn D. war ein Mann, der im obersten Stockwerk wohnte und etwa zehn Fahrräder vor seiner Wohnungstür abgestellt hatte. Als Herr D. einmal wegen eines tropfenden Wasserhahnes anklingelte, stellte sich heraus, daß auch die Wohnung voller Fahrräder war. An den Wänden hingen Reifen, Räder, Ritzel und Rahmen, auf dem Boden lag Werkzeug verstreut. Der Hauswart schien ein leidenschaftlicher Schrauber zu sein. »Erst zwanzig Jahre lang studieren, und dann nicht mal nen tropfenden Wasserhahn reparieren können!«, sagte der Hausmeister, warf die Zange auf den Boden und wusch sich die schwarzen Finger.

Als er aber sah, daß Herr D. schon selbst Hand an den tropfenden Hahn gelegt, ihn ordnungsgemäß in seine Einzelteile zerlegt und auch wieder zusammengeschraubt hatte, machte der Hausmeister ein freundliches Gesicht. »Haben wohl auch Maschinenbau studiert, wa?«, sagte er und grinste von unten hoch. »Was machen Sie denn eigentlich? Sie ham ja noch einen richtigen Job, wa? Ich seh Sie ja immer mit dem Fahrrad losradeln, immer schön pünktlich!«

»Büro. Nichts besonderes... Langweilig...« , versuchte Herr D. den richtigen Ton zu treffen. Aber der Hausmeister sah ihn mit heruntergezogener Lippe mißtrauisch an. »Wolln Sie n Kaffee?«, fragte Herr D. Der Hausmeister nickte. Kaffee war OK! Mit Kaffee oder Bier, damit gewann man in Berlin das Herz jedes Proletariers. Sogar das der Hausmeister.

Der Hausmeister schaute nun öfter vorbei. Auf einen Kaffee. Meistens samstags, immer dann, wenn Herr D. schon die Schuhe angezogen hatte und, den Einkaufszettel in der Hand, dastand und gehen wollte. Er verkündete die neuesten Nachrichten aus dem Haus und erzählte von seiner Vergangenheit, von der Studienzeit und seinem späteren Job als Dozent. Herr D. verstand, daß ihn das Leben mit den Fahrrädern und drei Katzen nicht ausfüllte. Aber daß er immer dann klingeln mußte, wenn Herr D. gerade zum Einkauf starten wollte  das verstand er nicht. Herr D. erklärte sich, und am nächsten Samstag blieb der Hausmeister aus. Den Samstag darauf auch.

Eines Tages stieg Herr D. reuevoll die Treppen hinauf, doch niemand öffnete. Die Fahrräder waren verschwunden. Monate später traf er seinen Hausmeister auf der Straße. Der erzählte, daß der Gerichtsvollzieher dagewesen sei. Früher sei das ein Herr Busche gewesen, ein netter Mann, bekannt im ganzen Viertel. Der habe sich ausgekannt im Leben und im Viertel. Auch, wenn man mal die Miete nicht überweisen konnte. Aber jetzt seien da Neue. Jetzt würde es ernst. Jetzt versuchten sie, sogar von den Ärmsten noch was zu holen.

Alles hatten sie ihm genommen, die Katzen mit einem Tritt vor die Tür befördert, die Fahrräder konfisziert, »sogar das alte Hollandrad von meinem Opa«. Und das Ladegerät für sein Handy und seinen Ausweis hatten sie auch gleich eingesteckt. Er könne jetzt nicht mal mehr telefonieren, und um den Ausweis wiederzubekommen, müsse er bezahlen. Er hätte nichts mehr »außer den paar Klamotten am Leib. Und dafür hat man nun studiert!« Herr D. wollte ihn zu einem Kaffee einladen. Aber der Hausmeister wollte nicht mehr.

Hans W. Korfmann

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