Kreuzberger Chronik
Juni 2005 - Ausgabe 68

Die Reportage

Miethaie zu Fischstäbchen


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von Michael Unfried

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»Miethaie zu Fischstäbchen« : So steht es gleich auf zwei Fensterscheiben des seit Monaten heftig umstrittenen Hinterhauses in der Yorckstraße Nummer 59. Der Hai kommt aus Hamburg, von der Waterkant, und scheint mit allen Wassern gewaschen zu sein. Ein Immobilienhändler, der auch in den Berliner Binnengewässern bereits Erfahrung gesammelt und Erfolg gehabt haben soll: Zumindest ein Filetstückchen in der Berliner Friedrichstraße hat Marc Walter bereits aus den trüben Hauptstadtgewässern gefischt, renoviert und gewinnbringend wieder veräußert.

Das vom Insolvenzverwalter der Yorckstraße 59 zum Verkauf angebotene Projekt schien für Marc Walter und seine eigens gegründete Yorck 59 GbR mindestens ebenso gewinnversprechend. Siegesgewiß ersteigerte er das Häuschen nicht weit der Yorckbrücken, doch übersah er, daß man Mieter nicht einfach mitkaufen und an die frische Luft setzen konnte. In Berlin jedenfalls nicht, wo Häuser ein paar Jahre lang lieber besetzt als angemietet wurden. Zwar zahlen die Mieter in der Yorck 59 brav ihre 200 Euro pro Kopf und Monat, doch die 60 Bewohner der acht Wohngemeinschaften im alten Fabrikgebäude umgibt noch immer das Flair der Hausbesetzerszene. Und als der Hamburger Hai plötzlich 300 Euro forderte, zeigten die zahlenden Mieter dem Hai ihre Zähne.

Foto: Dieter Peters
»Freiräume werden nicht erbettelt, sondern erkämpft!«  »Das Projekt wird das Haus nicht freiwillig und kampflos verlassen!«  »Häuser denen, die drin wohnen«  »Wir können auch böse  Pfoten weg von der Yorck 59!«. So lauten die kräftigen Kampfansagen. »Walter geht, Yorck 59 bleibt«, so stand es auf einem 30 Meter langen Transparent, das die Bewohner mit Sympathisanten am Ostermontag von der Siegessäule rollten. Zwei Tage zuvor bewarfen sie laut DPAMeldung die Polizei, die vorsichtshalber gleich mit mehreren Hundertschaften angerollt war, fröhlich mit Farbeiern.

Sowohl der Hai als auch vermeintlich kleinen Fische von der Yorck 59 scheinen aus vergangenen Zeiten herübergeschwappt zu sein. Zeiten, als Gut und Böse noch deutlich auseinanderzuhalten waren. Der Hai namens Walter ist bockig und arrogant genug, selbst die Vermittlungsversuche der Politik auszuschlagen. Er läßt eine engagierte Bezirksbürgermeisterin ebenso abblitzen wie den Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele. Sogar der Berliner Innensenator Körting, der sich überraschend auf der Seite der Hausbewohner einfand und dem Mann aus Hamburg bereits zwei vergleichbare Immobilien aus dem Liegenschaftsfonds zum Ersatz anbot, beißt sich am Hai die Zähne aus. Über seinen Verwalter läßt Walter den Mietern Strom und Wasser abdrehen  eine Revanche für einen Hamburger Eierwurf auf die Gattin. Und in der heiligen Weihnachtsnacht, wenn auch in der Yorckstraße die Alternativen zu ihren Verwandten fahren, schickt er eine Maurerkolonne vorbei, die den Bewohnern über Nacht die Wohnungstüren zumauert. Und dann sendet er Betrüger mit falschen Mietverträgen in der Tasche nach Berlin und fordert vor Gericht den Auszug der Wohngemeinschaften. Kurz: Er zieht die alten Tricks aus der Hausbesetzerzeit wieder aus der Tasche.

Die Hausbewohner auch. Sie mobilisieren kräftig auf allen Ebenen, geben Pressekonferenzen, demonstrieren, betreiben Öffentlichkeitsarbeit. Sie fahren mit Eiern nach Hamburg und marschieren mit Transparenten vor dem Haus des Besitzers auf. Ihre Internetseite ist professioneller als die manches großständigen Unternehmens. Sämtliche Berliner Zeitungen haben über das »Linke Wohnprojekt« bereits berichtet, über die politischen Organisationen, die im Haus ihren Sitz haben, über »ARI«, die Antirassistische-Initiative, oder über das »AntiHartzBündnis«.

»Vor Gericht haben wir trotzdem erstmal verloren«, sagt Julia, die seit 5 Jahren in der Yorck 59 wohnt. »Wir haben vier Tage darüber diskutiert, ob wir in die zweite Instanz gehen. Wir brauchen immer solange auf unseren Plenen, es gibt keinen Mehrheitsbeschluß bei uns. Wir suchen den Konsens. Am Ende haben wir entschieden, auf den Widerspruch zu verzichten. Wir müßten einfach irrsinnig viele Soliparties veranstalten, um das zu finanzieren«. 15.000 Euro hat der erste Gang zum Landgericht gekostet. Rausgeworfenes Geld: Seit Dezember 2004 hat Walter es schriftlich. Er kann das Haus räumen lassen. Und sei es mit Gewalt der Polizei.

Foto: Dieter Peters
Julia ist eine von den 60 Bewohnern der 8 Wohngemeinschaften, eine junge, redegewandte Frau. Sie schaukelt das gutgefütterte Baby von Maja, ihrer Nachbarin, auf den Knien. Die Menschen aus den vier Etagen der Yorck 59 verstehen sich gut. Die Probleme der WGs aus den 70ern haben die 2000er nicht mehr. »Es gibt ja jetzt Geschirrspüler, und die Palästinafrage ist bei uns kein Thema mehr.« Es ist familiärer geworden. In der Yorckstraße leben acht Kinder, die zusammen in den Kinderladen und die Schule gehen. Es gibt Berufstätige, Selbständige, Künstler, Arbeitslose, ein paar Studenten. Sie kommen aus Deutschland, Belgien, Afrika, Frankreich, Spanien, der Ukraine oder Südamerika. Eigentlich ist es »wie draußen auch«. Die Ältesten werden bald 50 Jahre alt. »Nur Rentner leben noch keine hier.«

Julia und Maja lachen viel, die Sonne fällt durch die großen Fensterscheiben der alten PapierserviettenFabrik, in den hellen Räumen wachsen zwischen gemauerten Küchenregalen und ständig rotierenden Waschmaschinen hohe Palmen und gigantische Philodendren. Schlafgemächer mit aufgewühlten Decken in der zweiten Etage, Badewannen auf meterhohen Sockeln, Korkwände mit hundert Zetteln, unaufgeräumte Schreibtische, Bücherregale bis unter die Decke und Che Guevaras Konterfei in irgendeiner Ecke erinnern an die Zeiten, als zwischen Gut und Böse noch die klare Linie verlief. Schon deshalb gehörte die Yorck 59 eigentlich unter Polizeischutz gestellt. Außer einem kleineren Haus in der Brunnenstraße gibt es in ganz Berlin kein ähnlich engagiertes und etabliertes Hausprojekt mehr. In der Yorckstraße leben, so der Abgeordnete Ströbele, »keine Chaoten. Dort wird anerkannte Arbeit geleistet«.

Sie organisieren politische Veranstaltungen, öffnen montags die »Druzbar« mit billigem Essen und Musik für alle, haben einen politischen Anspruch. »Einmal in der Woche findet ein Delegiertenplenum statt, mit jeweils einem Vertreter aus jeder WG. Außerdem gibt es noch das große Hausplenum, da kommen so zwanzig Leute aus dem ganzen Haus zusammen. Das kann dann schon mal fünf, sechs Stunden dauern. Da reden wir über alles mögliche. Nur in letzter Zeit reden wir nur noch über eins. Es gibt Leute hier, die leben schon seit Monaten nur noch für den Hauskampf.« Und die geben nicht auf.

Vor dem Rathaus
Foto: Dieter Peters
Doch der Hai scheint sich für andere Immobilien aus dem Liegenschaftsfonds nicht sonderlich zu interessieren. Dennoch möchte der Senat dem Spekulanten weitere Angebote unterbreiten. Aber auch den Bewohnern der Yorckstraße riet der Innensenator, sich nach einer neuen Bleibe umzusehen. Auch ihnen könnte schließlich aus dem Fundus des Liegenschaftsfonds eine Immobilie angeboten werden. Schließlich hatte sich auch die Hausgemeinschaft um das öffentlich ausgeschriebene Objekt in der Yorckstraße beworben und, nach eigenen Angaben, eine Million Euro geboten. Allerdings hatte die Bank dann ihre Geschäfte lieber unter der Hand mit einem Mann aus Hamburg abgewickelt. Mit einem Mann ihresgleichen. Unter Haien.

Die Hoffnung, der Hai könne am Ende zahm werden wie Flipper und den Mietern anbieten: »Bleibt erst einmal wohnen, bis ich einen Ersatz gefunden habe«, ist illusorisch. Das haben inzwischen alle erkannt. Sogar für Senator Körting, den Zweckoptimisten, ist »nicht erkennbar, daß Mieter und Vermieter zu einer einvernehmlichen Lösung kommen«. Er hofft auf einen »friedlichen Auszug der Bewohner«, die dem Senator »hoch anrechnen, daß er sich so lange Zeit für unsere Probleme genommen hat«. Doch die werden nach allem Geschehenen kaum an einen friedlichen Abzug denken. Im Gegenteil: »Das Projekt wird das Haus nicht freiwillig und kampflos verlassen. Eine Räumung würde eine Eskalation des Konfliktes nach sich ziehen«.

Verrauchte Szenen aus den 70ern ziehen vors geistige Auge. Genau diese Szenen würde der um Ruhe besorgte Innensenator gerne vermeiden. Vielleicht hat er nur deshalb versprochen, daß eine Räumung zum 1. Mai nicht zur Debatte stünde, wie es eine Zeitung dummerweise geschrieben hatte, und wie es Marc Walter gerne gesehen hätte. Denn eine Räumungsaktion zum 1. Mai wäre ein Funke im Kreuzberger Pulverfaß. Frühester Termin für eine gewaltsame Räumung wäre laut Innensenator Körting: »der 20. Mai«. Gewesen.


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