Kreuzberger Chronik
Juni 2005 - Ausgabe 68

Herr D.

Unter Frauen


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von Hans W. Korfmann

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Herr D. geriet auf einen Flohmarkt. Es war jedoch kein Flohmarkt, wie er ihn kannte, so ein Flohmarkt mit altem Plunder, echten Antiquitäten, billigen Imitaten und selbstgefertigten Kunstwerken. Es war auch nicht einer dieser Heimwerkerflohmärkte, auf denen man von Bohrmaschinen über Schweißgeräte, Kettensägen und Schraubstöcke, Fittiche und TStücke, in kleinste Einzelteile zerlegte Fahrräder und in etwas größere Einzelteile zerlegte Automobile alles fand  also einer dieser Flohmärkte, die sämtlichen Baumärkten Berlins ein Dorn im Auge waren, ohne die jedoch die gewaltige Schwarzarbeiterkolonne der Hauptstadt kaum derart produktiv sein könnte. Und wie arm sähe dann die Stadt aus!

Nein, der Herr D. war auf einen Flohmarkt für jene kleinen Flöhe geraten, die seit geraumer Zeit immer häufiger von alleinstehenden Frauen großgezogen werden, und die ohne diesen Flohmarkt mit Kleidern und Spielzeug für den deutschen Nachwuchs womöglich eine deutlich geringere Überlebenschance hätten. Herr D. hatte weder Kinder noch Enkelkinder, doch die kleinen Spielzeuglokomotiven zogen ihn magisch an. Sich keiner Schuld bewußt, schlängelte sich Herr D. zwischen den handelnden Müttern hindurch, streichelte hier und da einen Kinderkopf und besah sich einige Spielzeuglokomotiven.

Anfangs registrierte er die kleinen Stöße und Puffer nicht, auf Flohmärkten ging es immer so zu, da durfte man keine Berührungsängste haben. Doch als er die Kasperlefigur mit ihrer langen Nase sah und sagte: »Genau so eine hatte ich auch einmal!«, und als die Frau hinter dem Tapeziertisch antwortete: »Damals war Deiner auch nur so klein!« und zwischen zwei Fingern die Länge einer Stecknadel andeutete, da verstand er: Ein alleinstehender Mann hatte auf einem Kinderflohmarkt nichts zu suchen. Augenblicklich fühlte sich Herr D. wie ein Kinderschänder, ein pädophiler Mörder, ein Mann, der nur eines verdient hatte: Schwanz ab!

In diesem Augenblick legte jemand die Hand auf seine Schulter: »Nehmen Sies nicht persönlich«, sagte ein Besucher gleich auffälligen Geschlechtes, »die sind hier alle so. Sind Sie auch arbeitslos?« »Nicht direkt!«, sagte Herr D. und ging mit dem Geschlechtsgenossen ein Stück am Ufer entlang. »Verstehe!«, sagte der andere, »Schwarzarbeit. Mach ich auch. Aber ich habe eine Idee. Ich brauche nur noch jemanden, der mitmacht.«

»Hm ...« sagte Herr D. »Wissen Sie: Allein kommen wir ja nicht weiter. Wir müssen zusammenhalten. Meine Frau und ich zum Beispiel: Wir sind seit dreißig Jahren verheiratet, glücklich, wenn ich so sagen darf. Meine Frau hat noch das Kochen von ihrer Mutter gelernt. Die perfekte Hausfrau, Putzen, Waschen, Bügeln, alles vom Feinsten. So einen Haushalt zu führen, wissen Sie, das ist keine leichte Arbeit. Das muß man richtig lernen. Und wo solln das die Mädchen heute lernen, frag ich Sie. Wo doch die Mütter heute alle arbeiten gehen.«

»Hm ...«, sagte Herr D. »Keine Ahnung!« »Eben! Und wissen Sie eigentlich, wieviele Ehen scheitern  nur an der Küche? Am Geschirrspülen, Saugen, Kochen ...? Also ... meine Idee: Wir bieten Kurse an: In zehn Tagen die perfekte Hausfrau. Alles, was man einst bei Muttern lernte. Was halten Sie davon?«

»Hm ...«, sagte Herr D. und sah auf seine Armbanduhr. »Gar nicht schlecht! Aber ich muß jetzt fort.« Der andere war sichtlich enttäuscht. Herr D. empfand so etwas wie Mitleid  aber was hätte er tun sollen. Er, der Herr D., ein Beamter auf Lebenszeit.

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