Kreuzberger Chronik
Juli 2005 - Ausgabe 69

Die Reportage

Radio Aktiv


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von Joachim Uhland

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Es ist nicht immer alles perfekt, und es kann schon mal passieren, daß man den Moderator hört, wie er einem seiner beiden Studiogäste zuflüstert: »Jetzt Du!« Doch auch das macht die Sendungen von Radio Aktiv nur spannender und ist ein Beweis, wieviel hier spontan entsteht, und daß hier Echtzeit gespielt wird. Das ist sogar den Profis von Sat1 aufgefallen, die bereits reges Interesse an einer der Moderatorinnen von Radio Aktiv signalisierten. Doch Dania, die schon seit der siebten Klasse dabei und längst eine professionelle Moderatorin ist, zeigte kein übermäßiges Interesse. »Ich habe zu viele Journalisten und Radiomacher kennengelernt, und die waren irgendwie alle langweilig!«

Was für sie und für alle, die bei dem Kreuzberger Jugendradio mitmachen, zählt, das ist die Freiheit, Radio machen zu können, wie sie es wollen. Mit ihrer Mucke, ihrer Sprache, ihren Launen, ihren Geschichten. Deshalb sind sie dabei. Karriere als Redakteur oder Moderator bei einem kommerziellen Sender zu machen, davon träumt heute keiner der 26 Mitarbeiter mehr. Das war noch anders, als Radio Aktiv 1981 zum ersten Mal auf Sendung ging. Da hatten einige noch die Hoffnung, daß aus dem Hobby einmal ein gutbezahlter Beruf werden könnte. Doch die Jugendlichen des Jahres 2005 schätzen ihre Lage realistisch genug ein, um zu wissen, daß sie froh sein können, wenn sie überhaupt einen Job bekommen.

Foto: Dieter Peters
Dennoch kämpfen sie für ihr Radio wie andere um gut bezahlte Arbeitsplätze. Als ginge es bereits ums Überleben. Dabei geht es nur um ein Stück ihrer Freizeit. Und das ist beachtlich. Zwei von insgesamt sechs Sendestunden wöchentlich will ihnen der Offene Kanal Berlin nun streichen, ausgerechnet den Samstag und den Sonntag. Und schon sind fast alle der 26 Radiomacher da, beraten in einer Redaktionssitzung über die zu ergreifenden Maßnahmen. »Kannst du dich bitte erst mal setzen, bevor du zu reden anfängst!«, ermahnt Roland Krome einen Zuspätgekommenen. Die Truppe sitzt auf dem begrünten Dach der Friedrichstraße Nummer 2, auf Bänken, Stühlen, in einem zu einem fahrbaren Sessel umfunktionierten Einkaufswagen. Sie hat beschlossen, die Öffentlichkeit auf sich und den drohenden Sendeverlust aufmerksam zu machen. Jetzt berichten sie einander über die Gespräche mit den Redakteuren von taz, zitty, Morgenpost, Berliner und sogar BZ. Fast überall sind die jungen Radiomacher auf Interesse gestoßen, lediglich »die Mottenpost hat sich noch nicht gemeldet. Aber das war ja zu erwarten!«

Sie sitzen da mit ihren Rastalocken, Baseballkäppis und einer so düsteren Sonnenbrille, daß Krome augenblicklich fragt: »Wasn jetzt los? Hast Du ne Bindehautentzündung?«  Sie sind 17 bis 27, nur Roland Krome ist schon 47. Er ist der Sendeverantwortliche, einer, der diesen Job mit dem Jugendradio in den Jahren 2003/2004 noch bezahlt bekam. Jetzt verdient er genausowenig am Radiomachen wie seine jugendlichen Mitarbeiter. Seitdem aber ist das Verhältnis von »Flohhüter und Flöhen«


Foto: Dieter Peters
noch besser geworden, als es ohnehin schon war. Als er ihnen mitteilte, daß man ihn nicht mehr bezahlen wollte, herrschte einen Moment lang betretenes Schweigen. Bis er sagte, daß er trotzdem weitermachen würde.

»Wer macht eigentlich den Flyer für die Wuhlheide. Da sind an diesem Wochenende 20.000 Leute, die müssen das alle wissen, daß man uns zwei Stunden klauen will!«  »OK, das mache ich dann heute nacht irgendwann!«  »Und wer fährt mit mir im Auto, schon allein des Schleppens wegen, Mischpult, Lautsprecher, Kassettendeck, Mikrophone &« Radio Aktiv wird live von dem Konzert in der Wuhlheide berichten, Interviews mit Musikern sind geplant, auch mit Max von dieser Punkband. »Ausgerechnet mit diesem Macho!«  »Das ist überhaupt kein Macho!«  »Ja, nur, weil er was mit deiner Schwester hatte!« Krome schaltet sich ein, um die Sache abzukürzen: »Und wer macht Tocotronic? Tocotronic können wir sicher kriegen!«  »OK, können wir versuchen.« ... Nicht alle haben Zeit an diesem Wochenende, mit dem Radio aufs Festival zu fahren, beim einen kommen gerade die Eltern aus dem Urlaub zurück, die andere muß noch eine Hausarbeit schreiben, eine ist wahrscheinlich gerade wieder mal heftig verliebt, und ein anderer hat einen Auftritt mit seiner Band. Doch sie sind immer genug gewesen, sie werden auch dieses Mal genug sein. Sie werden lautstark auf sich aufmerksam machen. Falls der Offene Kanal ihnen nicht wieder die Leitung kappt, so wie letztens, als sie live von einer dreitägigen Gedenkveranstaltung in Ravensbrück berichteten, auf der Jugendliche mit den letzten Überlebenden des Konzentrationslagers zusammentrafen. Plötzlich war Radio Aktiv Berlin nicht mehr zu hören. Die Radiomacher in Ravensbrück aber sendeten kräftig weiter, erst später erfuhren sie von der »technischen Störung« in Berlin.

»Wer kommt denn noch mit? Jonas, wo ist denn Jonas überhaupt?«  »Der liegt da hinten im Gras und schaut in den Himmel!«  »Na, laß ihn ...«

Radio Aktiv ist ein junges Radio, voller Ideen, voller Energie, voller Lebensgefühl. Es macht Spaß, das Machen so wie das Zuhören. Das ist kein Radio von zu alt gewordenen für den deutschen Nachwuchs, kein Radio mit langweiligen und wirkungslosen pädagogischen Konzepten, kein Radio mit erhobenem Zeigefinger, sondern ein Radio mit aufrechtem Stinkefinger, mit so deutlichen Worten wie »Ficken« und »Scheiße« und »Cool« und »Geil«. Mit so deutlichen Worten, daß sich immer mal wieder die Leitung des Offenen Kanals einschaltet und »die vielen sexuellen Anspielungen« abmahnt.

Radio Aktiv hat eben keinen Chefredakteur, sondern nur einen »Flohhüter«. Die Redaktion entscheidet mit Mehrheitsbeschluß, auch darüber, wie sie sich jetzt in den Medien präsentieren. Sie werden um ihre zwei Stunden kämpfen, mit Witz und mit Wut und einer Spur Wehmut. Denn seit Mitte Juni meldet sich Radio Aktiv mit einer neuen Jingle: Zur melancholischen Mundharmonika aus »Spiel mir das Lied vom Tod« spricht im sanften Ton einer Grabrede die Moderatorin folgende Worte: »Wir haben uns hier zusammengefunden, um die Streichung der Samstags und Sonntagssendung von Radio Aktiv Berlin zu betrauern. Um dagegen zu protestieren. Es waren ohrenschmeichelnde Sendungen, wir hörten, genossen und liebten sie. Jetzt soll es aus sein? Was wird aus den Hinterbliebenen? Wir lassen uns nicht einfach so unterkriegen. Unsere Stimmen sollen auch am Wochenende vernommen werden. Wir wollen unsere Hörer wenigstens eine Stunde am Tag begeistern. Bis zum 1. 7. täglich außer Donnerstag von 18 bis 19 Uhr. Und danach?«

Danach werden sie weitermachen, so oder eben so. Sie werden weiter Programm machen. Dania Dienstags mit ihrer Erfolgssendung »Quarksinn«, in der sie eine Stunde lang die Zuhörer an ihren Selbstgesprächen teilnehmen läßt, in der sie über das grüne Kabel philosophiert, das im Studio liegt, über eine Fahrt mit der SBahn nach Königs Wusterhausen, über einen Mikrophonständer, der gerade an ihr »vorbeigekommen ist. Ja, hier kreucht und fleucht alles«. Oder über diesen Studiogast, der »zu jenen Menschen gehört, die so vielbeschäftigt sind«, daß Radio Aktiv das Interview ausnahmsweise einmal aufzeichnen mußte: Marius Müller Westernhagen. Ihm gefiel das kleine Assoziationsspielchen, das Dania mit ihm spielte, so gut, daß er viel länger im Studio blieb, als sein nervöser Manager eingeplant hatte. Auch der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele stattete den politisch korrekten Radiomachern bereits seinen Besuch ab, der Bassist Hans Hartmann, Bob Lennox oder die Band »Ruhestörung« spielten live im Studio  als Schlagzeug mußten ein paar Kisten und Büchsen herhalten. »Aber bei echtem Punk spielt das keine Rolle &«, sagt der Chef, der keiner sein will.

Foto: Dieter Peters
Die Sendungen haben so einprägsame Namen wie »Hippophil«, »Listen up«, »Zukunft Jetzt« oder »Die Knusperflocken«. Und jede dieser Sendungen hat ihre Moderatoren, ihr eigenes Team, ihre eigene Musik. Es gibt Hiphop, Reggae, Punk und Elektronische Musik, es gibt Interviews zu politischen und kulturellen Themen. Der Wortanteil der Sendungen liegt über 50%. Darin unterscheidet sich Radio Aktiv von den kommerziellen Musikberieselungsanlagen mit ihren plappernden Moderatorenduos. Radio Aktiv ist Radio alternativ, »bei uns muß jeder selbst an den Knöpfen des Mischpults drehen. Bei uns besteht Radiomachen nicht nur aus Theorie«, sondern auch aus der technischen Praxis.

Im vergangenen Jahr wurde Radio Aktiv für den alternativen Journalistenpreis vorgeschlagen, nicht zufällig erhielt es 2002 vom Offenen Kanal den OKB-Award, und sogar Otto Schily zeichnete das Projekt mit dem Preis des Bündnisses für Demokratie und Toleranz aus. Dennoch soll jetzt die Sendezeit gekürzt werden. Aber der Flohhüter läßt die Flöhe nicht im Stich. Er hat den Verantwortlichen den Kampf angesagt. Nicht umsonst funkte er einst aus dem Untergrund für Radio Metropolis, nicht umsonst hat er in Nicaragua einen Sender aufgebaut, in Kapstadt eine Kindersendung ins Leben gerufen. Immer wieder war er in der Dritten Welt, um über das Radio den Minderheiten das Wort zu erteilen. »Ich hab halt schon noch die Idee vom Freien Radio«, sagt Roland Krome, und genau die haben alle die 26 Radiomacher um ihn herum auch.

Joachim Uhland

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