Kreuzberger Chronik
September 2004 - Ausgabe 60

Die Geschichte

Dramen an der Schaubühne


linie

von Werner von Westhafen

1pixgif
Kaum war das erste Stück unter der Regie des aus München abgereisten Querkopfes Peter Stein an der Schaubühne am Halleschen Ufer uraufgeführt, fragte die Süddeutsche Zeitung: »Zuviel Freiheit für das Theater?« – Sie meinte womöglich die Freiheit für Peter Stein, der nach seiner Inszenierung des Vietnam Diskurs von Peter Weiss in den Münchner Kammerspielen striktes Hausverbot erhalten hatte, und den einige Münchner am liebsten hinter Gittern gesehen hätten.

Die Berliner verhielten sich toleranter. Selbst die CDU verlangte nach der Aufführung von Brechts Mutter, dem ersten von Stein und Peymann inszenierten Stück an der Schaubühne am Halleschen Ufer, nicht gleich die Ausweisung der Fremden, sondern lediglich die Streichung der staatlichen Zuschüsse für die Theaterbühne. Die Süddeutsche Zeitung protokollierte: Der Abgeordnete Rudolf Mendel sagte zur Begründung, das Theater sei eine »kommunistische Zelle«. Unter dem Vorzeichen der Kunst werde dort »primitiver Agitationsunterricht« erteilt. Der Berliner CDU-Vorsitzende Lorenz ergänzte, das Personal des Theaters bis zum Bühnenarbeiter müsse sich zweimal die Woche »einer Schulung im Marxismus-Leninismus« unterziehen. Außerdem werde dort in Wort und Tat alles lächerlich gemacht, »was in Berlin in den letzten 20 Jahren entstanden ist«. Dort liege »kein künstlerisches Experiment vor, sondern eine klar gegen die Existenz der Stadt gerichtete Tätigkeit«.

Das aufgeregte Gezeter um das sogenannte »Kollektivtheater« bewirkte lediglich eine kurze Auszahlungsverzögerung der insgesamt 1,4 Millionen Mark an Fördergeldern, die der Senat 1970 für die Schaubühne übrig hatte. Das war auch damals, als die Staatskassen noch voll waren, keine unbeträchtliche Summe für ein Theater, das acht Jahre zuvor von einigen langhaarigen FU-Studenten ins Leben gerufen worden war, um Das Testament des Hundes und andere politisch korrekte, doch im Westen mit Skepsis betrachtete Stücke zu spielen.

Wirklich politisch war das Theater nur in diesen Ansätzen und Anfängen gewesen, und niemand – außer einigen Hinterbänklern in der CDU – nahm die Aufforderung ernst, wenn es einmal in einem letzten Akt hieß, man müsse Bomben ins Europacenter werfen.

Spätestens mit der Einberufung des damaligen Jungregisseurs Peymann war das Schicksal des Theaters am Halleschen Ufer besiegelt. Auch wenn Stein ein Querkopf war: Die Revolution war wieder einmal gescheitert, die Zeit des »sozialistischen Realismus’« im Theater war mit Peymann abgelaufen.

Es kam die Ära der Glanzlichter, eines Ensembles von Schauspielern, deren Namen schon damals einen besonderen Klang hatten: Monica Bleibtreu, Edith Clever, Otto Sander, Bruno Ganz. Am Ende fand sich keine Spur mehr jenes Berthold Brecht, der in den Siebzigern noch auf dem heimlichen Westberliner Index gestanden hatte, und den es nirgends sonst zu sehen gab in der Republik als eben in Kreuzberg am Halleschen Ufer. 1979 inszenierte dann bereits der amerikanische Starregisseur Robert Wilson eines seiner unterhaltsamen Spektakel auf der kleinen Bühne am Halleschen Ufer, und die letzte Aufführung der Schaubühne am Halleschen Ufer war eine achtstündige Orestie des Aischylos. Es ging nur mehr um Sensationen, Superlative, Subventionen. »Geblieben«, hatte sogar die FAZ bereits im Frühjahr 1972 geschrieben, »ist das große Show-Theater, das Pflichtübungen in Sachen Revolution leistet, ansonsten aber sich immer weniger vom Theater der Stars unterscheidet, das eben nur Gesellschaftsspiel ist!«

Die Idee der Studenten der Theaterwissenschaften, die diktatorischen Regisseure durch ein Kollektiv und das bürgerliche Theater durch Brecht und Fassbinder zu ersetzen, der Anspruch, statt schöner Welt die Realität zu zeigen, gingen verloren. Schon bald nach der kollektiven Gemeinschaftsproduktion der Mutter begann Peymann gegen die Revolte hinter den Kulissen zu revoltieren. Er bestand darauf, als nächstes Stück Handkes Ritt über den Bodensee aufzuführen. Andernfalls wolle er die Schaubühne verlassen. Man stünde unter Erfolgsdruck, die politischen Auseinandersetzungen und die Aussetzung der Subventionen hätten die Aufmerksamkeit auf die Bühne am Halleschen Ufer gelenkt. Die Zeiten des langen Diskutierens mit Beleuchtern, Bühnenbildnern und Tontechnikern war vorüber, »das Prinzip der kommentierenden und eingreifenden Beobachtung der Proben durch die Schauspieler« war aufgehoben. Doch als Gerüchte an die Außenwelt drangen, die neuen Regisseure hätten das »Mitspracherecht« in der kollektiven Truppe sabotiert, riefen Peymann & Co. eine Pressekonferenz ein, um zu dementieren.

Der Haussegen hing schief, und während Peymann seinen Handke inszenierte, führte ein Teil des Kollektivs gleichzeitig Hans Magnus Enzensbergers Verhör von Habanna auf. Umfangreiche Recherchen zur Geschichte der kubanischen Revolution, zur Arbeit der CIA, zur Schweinebuchtinvasion und zu der Strategie des US-Imperialismus’ wurden unternommen, um Peymann samt Handke das Handwerk zu legen. Sogar der Spiegel lobte die fundamentierte Sachlichkeit der »konsequenten Kollektivproduktion«. Der große Zuschauererfolg aber war Peymanns bürgerlicher Inszenierung beschieden.

Dennoch verließ der angehende Star bald das aufmüpfige Theater. Stein dagegen blieb, Botho Strauß kam, ein Handke-Förderer zwar, aber eben auch ein Star. Er blieb fünf Jahre, schrieb Stücke für die Schaubühne und führte sie dort auf. Es gab beachtliche Erfolge, das Duo Stein und Strauß machte das Theater endlich über die Stadtgrenze hinaus bekannt. Die Buhrufe aus der linken Ecke wurden dementsprechend lauter. Je größer der Erfolg auf der einen Seite, desto lauter die Buhrufe auf der anderen. Es mehrten sich die Stimmen, die behaupteten, die Schaubühne sei konterrevolutionär und befriedige die Unterhaltungssucht der Massen.

»Berlins beste Truppe« aber ließ sich von den ewigen Zweiflern nicht beirren. Und als im Frühjahr 1980 – der Umzug vom Ufer an den Kudamm war bereits beschlossene Sache – eine Gruppe demonstrierender Weddinger auftrat und für die Rettung der »Schrippenkirche« auf die Bühne ging, zeigte sich in aller Deutlichkeit, daß die Schaubühne kein Studenten- und kein Kollektivtheater mehr, sondern ein renommiertes Haus geworden war. Ein Sprecher verkündete dem Volk, das Theater sei kein Ort, um Öffentlichkeit herzustellen, und verwies die Demonstranten auf ihre Plätze. Immerhin sahen die Kreuzberger Theatermacher davon ab, die Polizei einzuschalten, auch, als Freunde und Angehörige inhaftierter Terroristen die Bühne stürmten und gegen deren Verlegung in den Sicherheitstrakt protestierten.

Einige Monate später, im Sommer 1980, verließ die Schaubühne das Hallesche Ufer und wurde zur berühmten Schaubühne am Lehniner Platz – der nichts mit Lenin oder mit Sozialismus zu tun hat. <br>

zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg