Kreuzberger Chronik
Mai 2004 - Ausgabe 57

Strassen, Häuser, Höfe

Der Mariannenplatz


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von Irene Br?ning

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Natürlich ist es nur ein Zufall, daß ausgerechnet in der Nähe der Oranienstraße, benannt nach Graf Nassau von Oranien (vgl. Nr. 30), einem Mann, der sich weniger mit Worten als mit Faust und Degen durchs Leben schlug, die entscheidenden Straßenschlachten des 1. Mai ausgefochten werden. Ebenso verhält es sich mit dem seit Ton Steine Scherben legendär gewordenen Mariannenplatz, zweitwichtigster Austragungsort des alljährlichen Kreuzberger Volksaufstandes. Denn auch Marianne, Prinzessin der Niederlande, die Gattin des Fürsten Albrecht von Preußen, verstieß mit den ihr eigenen Moralvorstellungen rücksichtslos gegen die guten Sitten der Zeit und wurde dafür vom preußischen Hof verstoßen. Die deutschen Historiker schenkten dem widerspenstigen enfant terrible bislang wenig Beachtung, erst jetzt erschien eine Biographie, die das Leben der »Marianne von Preußen« ins rechte Licht zu rücken versucht.

Geboren wurde Marianne 1810 im preußischen Exil, in das ein Teil des niederländischen Königsgeschlechtes vor den napoleonischen Truppen hatte fliehen müssen. Doch hatte sie das Glück, von den strengen preußischen Erziehungsritualen verschont zu bleiben, denn schon drei Jahre später konnte die Familie in die Heimat zurückkehren. 1815 wurde Marianne zur kleinen Prinzessin, Tochter des Königs Wilhelm I. der Niederlande. Der, so heißt es, habe der Kleinen keinen Wunsch abschlagen können. Viel Zeit ihrer Kindheit verbrachte das Mädchen auf dem Modellbauernhof im Schloßpark von Het Loo, den der Vater für sie einrichten ließ, wo sie sich mit Schafen, Kälbern und Hühnern beschäftigte und ein inniges Verhältnis zur Verwalterin aufbaute, das sich in einer lebenslangen Brieffreundschaft fortsetzte.

Es war also der Vater, der aus Marianne kein hochnäsiges Adelskind werden ließ, sondern ein fröhliches und selbstbewußtes Kind, eine niederländisch-preußische Sissi, die schon bald die Aufmerksamkeit der Fürsten und Grafen auf sich lenkte. Im zarten Alter von sechzehn Jahren verliebte und verlobte sich die hübsche Frau mit einem ebenso hübschen und beinahe ebenso jungen Prinzen. Doch der Prinz war kein wirklicher Prinz, sein Vater war gerade vom Thron gestoßen, und schon bald stritt man im ganzen Land, ob der Sohn eines gestürzten Königs sich »Prinz« nennen dürfe oder nicht. Zum ersten Mal erfährt die Prinzessin die Enge des höfischen Lebens, die Bürde des Prinzessinnendaseins: Die Verlobung mit Prinz Gustav Wasa muß wieder gelöst werden.

Nun springt ein Berliner, Prinz Albrecht von Preußen, ihr Cousin und Spielgefährte aus dem Sandkasten, in die Bresche. Den Segen seines Vaters, König Wilhelm III., hat er. Schließlich stammt Marianne aus einem der reichsten Königshäuser Europas. Dennoch sind die zeitgenössischen politischen Beobachter überrascht, daß Wilhelm III. in die Ehe einwilligt, denn Sohn Albrecht ist gerade zwanzig Jahre alt, von einem »unfertigen Wesen«, und fällt noch meist durch »falschen Ernst und überlaute Töne im Sprechen« unangenehm auf. Ein Pubertierender.

Die Prinzessin jedoch scheint nicht unglücklich an der Seite des alten Spielgefährten. Marianne ist eben eine lebenslustige Frau, bringt eine erste Tochter zur Welt und erfüllt das berühmte »Prinz Albrechts Palais« (vgl. Nr. 48) mit Leben. Sie veranstaltet Soireen und theatralische Aufführungen, Konzerte, auf denen man »Tyroler Sänger hört«, und zündet in der Nacht das »obligate Feuerwerkchen«. Das herrschaftliche Palais wird zum »Anziehungspunkt im gesellschaftlichen Leben der Berliner Aristokratie«.

Doch nach sieben Jahren der Ehe, einer Totgeburt und endlich der Zeugung eines männlichen Nachfahren namens wiederum Albrecht schien Marianne ihre Pflicht getan zu haben. Sie beschloß – unter dem Vorwand, für die künftige Albrechtlinie der Hohenzollern vorsorgen zu müssen – einen Zweitwohnsitz in Schlesien bauen zu lassen und verpflichtete den Berliner Stararchitekten Schinkel. Der Ausbau des Schlosses Kamenz in Schlesien war sein letztes Werk, jedoch mischte sich Prinzessin Marianne mehr in die Planung ein, als es Architekten und Baumeister lieb war. Anläßlich Schinkels baldigem Tod wurde das unvollendete Werk allseits gelobt, und Prinzessin Marianne konnte sich nach einigen Jahren pietätvollen Schweigens eines amüsierten Kommentars zu Schinkel nicht enthalten, der »gelobt wird, wo er es gar nicht verdient; denn nicht er, der große Meister, sondern ich, die Unwissende, entdeckte, daß man aus den Fenstern der Beletage gegen die Ringmauer sah und die wirklich schöne Aussicht nicht genießen konnte. Deshalb befahl ich, trotz Schinkel, den Einbau des Halbgeschosses!«

So ging die Frau des Prinzen Albrecht stets eigene Wege. Inzwischen Mutter dreier Kinder, besuchte sie Rom, Neapel, Paris, später Griechenland und Alexandrien, während sich der zurückgebliebene Gatte in Berlin eine Freundin suchte. Eines Tages schreibt Marianne: »Unschlüssig, wie ich mein Brieflein beginnen sollte, da ich dir so lange nicht schrieb und so manches sich zwischen uns gedrängt hat, entschloß ich mich, wie ehedem die Sprache des Herzens zu schreiben. Du bist nun zwar nicht mehr mein Gemahl, aber bist und wirst stets bleiben mein Lieber Vetter« und »Alter Abbat (…). Alt bist du nun zwar nicht, doch für mich bist du mein lieber Alter, da es unsere Liebe ist, die alt ist. Wir waren dreizehn Jahre alt, als sie begann…«

Eine Scheidung jedoch wäre ein Skandal gewesen, und das Ringen um die Freiheit dauerte lange, obwohl Marianne sich »nicht länger durch königliche Macht befehlen« lassen wollte, »die Gemahlin eines Mannes zu sein, der mich los sein will«. Erst als sich in Berliner Kreisen, wie etwa Varnhagens Salon, herumsprach, daß der ehemalige Kutscher Mariannes die Prinzessin auf ihren langen Reisen nicht nur als Sekretär, sondern auch als Geliebter begleitete, der sogar bei offiziellen Anlässen an ihrer Seite erschien, wurde Wilhelm III. nachdenklich. Als die abtrünnige Prinzessin tatsächlich schwanger wurde, willigte er in die Scheidung ein. Doch die Freiheit der Prinzessin hatte ihren Preis: Marianne wurde vom Hof verbannt, die Kinder blieben beim Vater.

Marianne reiste weiter. Emsig sammelte sie Kunstschätze und Besitztümer. Sie »machte ihre Nachkommen zum reichsten Zweig der Hohenzollerndynastie« und hinterließ neben zahlreichen Besitzungen einen Sparstrumpf mit satten 9 Mio. Mark. Das Schloß Reinhartshausen im Rheingau wurde zur Heimat für die Verbannte und ihren Lebensbegleiter. Heute ist es ein weltberühmtes Museum. Wirklich glücklich wurde die Prinzessin jedoch auch mit ihrem Kutscher nicht. Der gemeinsame Sohn, geboren in einem sizilianischen Dorf, starb im Alter von 12 Jahren in ihren Armen am Scharlachfieber. 1873 verstarb auch ihr Lebensgefährte Johannes von Rossum.

Marianne befahl später, seine Gruft erweitern zu lassen. Die Verstoßene verzichtete auf ein Staatsbegräbnis. Sie wollte in einem einfachen Eichensarg auf dem Gottesacker der Gemeinde Erbach »neben dem meines seit 10. April 1873 in Gott ruhenden Secretair Herrn Johannes von Rossum aus dem Haag beigesetzt werden«.

Literaturnachweis: Annette Dopatka, Marianne von Preußen – Prinzessin der Niederlande, Verlag Waldemar Kramer, 2003 <br>

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