Kreuzberger Chronik
März 2004 - Ausgabe 55

Die Geschichte

Der vergessene Gründer des Hebbel-Theaters


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von Werner von Westhafen

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Vier Jahre noch, dann wird endlich auch das Hebbel-Theater sein hundertjähriges Jubiläum feiern dürfen. Man wird Lobreden auf das alte Gemäuer halten, die goldenen Jahre und die wenigen großen Namen heraufbeschwören, die an diesem Haus gespielt haben – als wäre es nie umstritten gewesen.

Dabei stand kaum ein Berliner Schauspielhaus so oft vor dem Ruin wie dieses nach dem Krieg inmitten einer gigantischen Ruinenlandschaft gelegene Bauwerk. Noch 1958 schrieb die »Stimme der Arbeit aus Berlin«, daß, wer am Bahnhof Möckernstraße aussteige, »500 Meter über freies Feld (laufen,) sich durch einen Hauseingang und über einen Mietskasernenhof schlängeln (müsse), ehe er auf die Hinterfront des Theaters trifft«.

Manchmal gab es einen Hoffnungsschimmer am düsteren Nachkriegshorizont der Theaterwelt: Schon bald nach Kriegsende inszenierte man im Theater zwischen den Ruinen Thornton Wilders »Wir sind noch einmal davongekommen« und Jean-Paul Sartres »Fliegen«. Nach der Premiere der »Fliegen« war der Applaus sogar so gewaltig, daß die Schauspieler über fünfzig Mal vor den Vorhang treten mußten, und Friedrich Luft, Berlins renommiertester, aber auch gefürchtetster Theaterkritiker, glaubte tatsächlich an den Aufbruch in ein neues Theaterzeitalter.

Doch das blieb aus. Als 1951 im vornehmen Charlottenburg das Schillertheater wiedereröffnet und mit Subventionen beschenkt wurde, stürzte das Hebbel-Theater in die alte Bedeutungslosigkeit zurück. Kreuzberg, einst ein einfacher, aber mit seiner Hasenheide, der »Neuen Welt« und den Brauereien immerhin lebensfroher Arbeiterbezirk, war nie das richtige Pflaster für Theatergäste. Als Kreuzberg nach dem Krieg auch noch zum Zonenrandgebiet erklärt wurde, hatte das Theater keine Chance mehr.

Es stand von Anfang an kein guter Stern über dem Haus. Nur ein Jahr nach seiner Eröffnung meldete das »Theater in der Königgrätzerstraße« den ersten Konkurs an, die argwöhnische Presse höhnte. »Es kam, wie es kommen mußte; und es ist höchstens ein Wunder, daß es nicht bereits früher so gekommen ist. Für dieses Theater war von Anfang an kein Bedürfnis vorhanden«, schrieb Die Schaubühne 1910 über das Theater. Die Intendanten, hieß es, hätten es versäumt, ihrem Theater ein eigenes Profil zu verleihen und ein Programm zu bieten, das sich von den anderen Bühnen der Stadt unterscheide. Statt dessen spielten sie am fernen Stadtrand das, was es auch im Zentrum zu sehen gab. Und zwar meist »mittelmäßig«.

Aber dieser erfolglose ungarische Theaterkritiker, Eugen Robert, hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt, das Kritisieren bleiben zu lassen und auf dem Grundstück des Fuhrherrn Bölike ein Theater zu bauen. Als er auf einem Spaziergang im Schaufenster bei Wertheim die hübsche Schlafzimmereinrichtung eines Landsmannes sah, hatte er den zukünftigen Architekten für sein Theater entdeckt. Der Bau auf dem ehemaligen Fuhrpark war großartig, bestand aus vier teilweise vierstöckigen Häusern, dem sogenannten Bühnenhaus, dem Vorderhaus, dem Zuschauerhaus und dem Garderobenhaus, in denen unter anderem Schreinerei, Schlosserei, Atelier, Archiv, Fundus, Plätterei, Wäscherei, Anprobe, Garderobe, Schneiderei und Entwurf untergebracht waren. Das Innere wurde mit Palisander und Mahagoni vertäfelt, mit Intarsien aus Rosenholz und Perlmutt verziert, über dem Foyer entstand die sogenannte »Pantheonkuppel«. Der Bau des Theaters fand allgemeine Anerkennung, und der Architekt des Schlafzimmers wurde in rascher Folge zum Schöpfer des Theaters am Kurfürstendamm, des Renaissance-Theaters, der Volksbühne am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz … -.

Hebbel-Theater
Weniger Glück hatte Eugen Robert mit seiner dreiköpfigen »Interessengemeinschaft Theater an der Königgrätzerstraße«. Noch bevor am 28. Januar 1908 sich zum ersten Mal der Vorhang öffnete und das Trauerspiel »Maria Magdalena« begann, starb mit Richard Valentin nicht nur einer der drei Verbündeten, sondern ausgerechnet der künstlerische Leiter des Theaters. Robert war ratlos und gab das Theater bald wieder auf. Als man ihn daraufhin fragte, weshalb er eigentlich dieses teuere Theater gebaut habe, wo er doch leicht und günstig eines hätte pachten können, soll er geantwortet haben: »Ganz einfach. Wenn man ein Theater pachten will, muß man eine Kaution hinlegen und die Pacht mindestens einen Monat im voraus zahlen. Aber ich hatte weder Geld noch Kredit. Das einzige, was ich auf Kredit bekommen habe, sind diese großen Steine!«

1911 aber erlebt das Theater, wenn auch bereits ohne Eugen Robert, einen Aufschwung. Zwei engagierte Regisseure vom »Berliner Theater« übernehmen das Haus und inszenieren Strindberg und Ibsen. Maria Orska wurde zum Star des »Theater in der Königgrätzerstraße«, und Paul Wegener, der »Golem« des legendären Stummfilms, spielte Shakespeares Macbeth und Richard III. Auch die goldenen Zwanziger übersteht das Haus unbeschadet, erst die Weltwirtschaftskrise stürzt es ins Unglück zurück.

Und dann kamen die Nazis, denen die privaten Theater bald ein Dorn im Auge waren. Von vierzig Bühnen in der Stadt überlebte nur die Hälfte. Das Hebbel-Theater geriet durch Zwangsvollstreckung in die Hand der Hypothekbank AG, welche es an die »Gebrüder Rotter« vermietete, die »krachlederne Dorfgeschichten und wehleidiges Seelengedudel« produzierten. Von den Bomben verschont, wurde der Spielbetrieb Ende 1945 unter der Leitung von Karl-Heinz Martin und unter der Aufsicht der Amerikaner im »Theater an der Stresemannstraße« wieder aufgenommen. Die Frau des Kreuzberger Bürgermeisters Willy Kressmann war es, die persönlich Hand ans Reißbrett legte und als Architektin die Renovierung des Hauses vorantrieb. Am Ende aber machte der Bau der Mauer alle Hoffnungen zunichte: Die Zuschauerzahl sank augenblicklich um 80%. Selbst Nachkriegsstars wie Harald Juhnke, Klaus Kinski, Klaus Schwarzkopf oder Inge Meysel konnten das Theater nicht mehr retten.

1978 meldete es zum zweiten Mal Konkurs an, und hätte man es nicht vorsorglich unter Denkmalschutz gestellt, wäre womöglich nichts erhalten geblieben von der fixen Idee des Eugen Robert, ausgerechnet hier ein prächtiges Theater zu errichten.

Vier Jahre noch, dann wird die Stadt das hundertjährige Jubiläum des Finanzdesasters feiern. Vergessen werden sie sein, die alten Geschichten, und die neuen: Die Querelen um die langjährige Hebbel-Intendantin Nele Hertling, oder das umstrittene Konzept zur Vereinigung der drei Bühnen durch die Hebbel-Theater GmbH. Vielleicht wird 2008 auch der engagierte Intendant Mathias Lilienthal schon wieder vergessen sein, der seit Ende Oktober die drei Bühnen bespielt und gleich im ersten Monat mit einem Mammutprogramm von über siebzig Aufführungen klarmachte, was hier, um das Gelände des Fuhrunternehmers Böleke, entstehen könnte: nämlich eine Art Goldenes Dreieck der Theater.

Literaturnachweis: Das Hebbeltheater, Waltraud Schade in »Geschichtslandschaft Kreuzberg« <br>

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