Kreuzberger Chronik
September 2003 - Ausgabe 50

Reportagen, Gespräche, Interviews

»Überall herumstänkern!«


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Michael Unfried im Gespräch mit dem Herausgeber der Kreuzberger Chronik

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UNFRIED: Herr Korfmann, Sie sind seit 1999 sogenannter Chefredakteur der Kreuzberger Chronik, später wurden Sie ihr Herausgeber. Reicht es nun nicht langsam?
KORFMANN: Wie soll ich das verstehen?
UNFRIED: Haben Sie überhaupt noch Lust?
KORFMANN: Wozu?
UNFRIED: Ich meine, vier Jahre lang eine Zeitschrift zu machen mit immer den gleichen Geschichten, immer im gleichen Layout, das muß einen doch manchmal nerven!
KORFMANN: Sie sagen es.
UNFRIED: Reden Sie eigentlich immer so wenig?
Interview Karikatur
Zeichnung: Nikolaos Topp
KORFMANN: Meistens. Aber an manchen Abenden, da rede ich entschieden zu viel. Allerdings nicht über Lust und Unlust. Wissen Sie, ich wäre ja ein Unmensch, wenn ich jeden Morgen aufstünde und vor Freude im Viereck springen würde, weil ich jetzt zur Arbeit gehen muß. Arbeit ist ja, nüchtern betrachtet, nichts anderes als ein Mittel zum Zweck. Ich stand schon immer auf dem Standpunkt, daß es besser sei, zu arbeiten, um zu leben, anstatt zu leben, um zu arbeiten.
UNFRIED: Also geht es Ihnen nur noch ums Geldverdienen?
KORFMANN: Nüchtern betrachtet: Ja. Aber ich bin nicht immer nüchtern. Ich würde sogar sagen, ich … – aber lassen wir das.
UNFRIED: Wenn es Ihnen also, wie Sie sagen, in erster Linie darum geht, Geld zu verdienen – und nicht etwa darum, mittels Journalismus’ etwas zu bewegen, wie Sie das ja auch schon des öfteren zum Besten gegeben haben: wie paßt das zum Kreuzberger Selbstverständnis?
KORFMANN: Schlecht.
UNFRIED: Es häufen sich die kritischen Stimmen?
KORFMANN: Das ist wie in der Ehe. Erst findet man alles gut, dann alles schlecht.
UNFRIED: Böse Stimmen also? Beschimpfungen? Beleidigungen?
KORFMANN: Die gibt es immer, wenn Sie nach vorne treten oder sich aus dem Fenster lehnen. Natürlich schielen mißtrauische Kollegen zu mir herüber, oder schlecht bezahlte Mitarbeiter rechnen sich aus, was ich verdiene. Und die Leser glauben, daß eine so »erfolgreiche« Zeitschrift – und auch ein auflagenschwaches Kiezblättchen, das vier Jahre überlebt hat, ist in Zeiten wie diesen ja schon so was wie eine erfolgreiche Zeitschrift – natürlich auch Geld abwirft. Ich sehe das anders. Ich habe es an jedem Jahresende schwarz auf weiß vor mir.
UNFRIED: Aber Sie leben davon?
KORFMANN: Nicht ganz.
UNFRIED: Wovon leben Sie sonst noch?
KORFMANN: Ich muß hier ja wohl nicht alles erzählen. Oder soll das jetzt ein Kiezgeflüster werden?
UNFRIED: Das wäre doch mal eine neue Idee! Alle erfolgreichen Zeitungen haben ihre Klatschspalten. Dabei gäbe es doch gerade hier am Chamissoplatz Klatsch genug!
KORFMANN: Sie haben recht. Wir haben auch schon ernsthaft darüber nachgedacht. Es findet sich nur niemand, der diese ganzen Kiezgerüchte zusammentragen möchte. Die Leute scheuen die Arbeit! Es gibt einfach viel zu viele Gerüchte hier!
UNFRIED: Auch über Sie, über die Chronik?
KORFMANN: Ganz genau. Ich hätte mich auch nie mit Ihnen hier getroffen, wenn ich darin nicht die einmalige Chance gesehen hätte, einmal all den über uns kursierenden Gerüchten zu begegnen.

Interview Karikatur
Zeichnung: Nikolaos Topp
UNFRIED: Zum Beispiel dem hartnäckigen Gerücht, daß Sie gar kein echter Kreuzberger sind, sondern ein Weddinger?
KORFMANN: Hmm!
UNFRIED: Daß sie Kreuzberg gar nicht mögen?
KORFMANN: Hmm!
UNFRIED: Herr Korfmann, Sie stehen nach einigen Äußerungen in den letzten Ausgaben der Kreuzberger Chronik unter dem Verdacht, sich mit hinterhältiger Absicht in den Kiez geschmuggelt zu haben und als Nestbeschmutzer zu betätigen. Es scheint, als hätten Sie langsam genug von diesen Kreuzbergern – ich zitiere: Wollsockenträgern, gealterten Alternativen, 13-Uhr-Revolutionären … Lieben Sie diesen Kiez überhaupt noch?
KORFMANN: Was sich liebt, das neckt sich.
UNFRIED: Machen Sie es sich nicht manchmal etwas zu leicht.
KORFMANN: Ja.
UNFRIED: Warum?
KORFMANN: Weil es sonst zu schwer wird. Sagen wir: Unerträglich.
UNFRIED: Aber Sie hatten doch Erfolg mit dieser Zeitschrift, Sie haben doch diesem Kiez etwas zu verdanken.
KORFMANN: Ich glaube, Sie spinnen. Ich habe niemandem was zu verdanken. Ich habe geackert.
UNFRIED: Geackert?
KORFMANN: Mit Verlaub, Herr Unfried, Sie machen Ihrem Namen alle Ehre. Überall herumstänkern! Wenn ich recht informiert bin, haben Sie sich mit ihren hinterhältigen Artikeln über zu salzige Kost in Kreuzberg oder über den Kreuzberger Bürgermeister »im Fettnäpfchen« oder die Feinde der Grillorgien im Park massive Drohungen eingehandelt. Es ist ein Wunder, daß die Kreuzberger Chronik noch nicht vor Gericht stand.
UNFRIED: Das über’s Grillen im Park haben Sie selbst geschrieben!

Interview Karikatur
Zeichnung: Nikolaos Topp
KORFMANN: Egal – Sie sind jedenfalls der größte Störenfried in dieser Kreuzberger Chronik , und ohne Sie wäre die Kreuzberger Chronik ein ganz braves Blättchen. Wahrscheinlich würden wir doppelt so viele Anzeigen verkaufen wie jetzt. Aber wer soll Vertrauen haben zu einer Zeitschrift, die vorgibt, den Kiez unterstützen zu wollen, Restaurant- und Cafébesitzer, und die dann schreibt, daß das einzig positiv Erwähnenswerte in der Pizzeria das Glas Mineralwasser gewesen sei? Glauben Sie allen Ernstes, da könnte ich irgendwann noch einmal hingehen? Glauben Sie tatsächlich, daß das immer alle so lustig finden wie Sie? Aber das ist Ihnen wahrscheinlich vollkommen egal. Ihnen geht es doch nur um Ihren Spaß.
UNFRIED: (grübelnd) Naja – Ich habe manchmal wirklich tierischen Spaß beim Schreiben. Übrigens: Sie reden ja tatsächlich manchmal mehr als nur einen Satz!
KORFMANN: Hmm!
UNFRIED: Herr Korfmann, die Kreuzberger Chronik ist jetzt 50 Nummern alt. Ist sie reifer geworden seit der Nullnummer mit dem Friedhofsgärtner, oder hätte man sie nicht vielleicht doch besser gleich wieder begraben sollen?
KORFMANN: Sie stellen ja genauso dumme Fragen wie die von den anderen Zeitungen!
UNFRIED: Waren denn jemals andere Zeitungen bei Ihnen und haben sich für Ihre Chronik interessiert? Ich erinnere mich nur an ein Porträt des Chefredakteurs! Und das stand in der Chronik und war noch dazu ein Selbstporträt! Das mußten Sie doch selbst schreiben, weil sich sonst keiner fand, oder?
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Foto: Kreuzberger Chronik
KORFMANN: Neinein, da irren Sie. Das Berliner Stadtmagazin Tip schrieb einmal über uns – ganz nett eigentlich. Und eine junge Frau von der Morgenpost kam auch einmal bei uns vorbei. Und DIE ZEIT hat uns zitiert, mehrere Zeilen lang. Ansonsten schwieg man uns allerdings lieber tot. Man berichtet anscheinend nicht über solche auflagenschwachen Winzlinge. Lieber über publizistische Eintagsfliegen, die mit großem Tätärätäää und Hochglanz an den Start gehen, um nach drei Nummern wieder vergessen zu werden. Offensichtlich ist das wichtiger. Aber heimlich schielt man schon danach, was wir hier machen. Die BZ folgte uns eine Zeitlang dicht auf den Versen: Kaum hatten wir über jemanden berichtet, erschien er in der BZ. Auch bei der Berliner Zeitung liest man uns offensichtlich gern zum Frühstück. Und kürzlich wollte die FU tatsächlich die Redaktionsräume »einiger ausgewählter Medien« besichtigen und fragte an, ob man einmal mit einigen Studenten bei uns vorbeikommen könnte. In unsere Redaktionsräume! Wahrscheinlich dachten die, wir logierten in der Friedrichstraße. War das jetzt lang genug?
UNFRIED: Sie behaupten allen Ernstes, daß sich große Zeitungen an Ihrer popligen Chronik orientieren! Sind Sie noch normal?
KORFMANN: Nein, aber die Zeitungsleute schielen immer danach, was die anderen machen. Die haben zu wenige Ideen.
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Foto: Kreuzberger Chronik
UNFRIED: Sie selbst lesen natürlich nicht, was die anderen schreiben?
KORFMANN: Zeitungen sind langweilig. Ich lese Bücher.
UNFRIED: Wann haben Sie ihr letztes Buch gelesen?
KORFMANN: Im Urlaub!
UNFRIED: Stimmt es, daß Sie gerade sechs Wochen Urlaub gemacht haben?
KORFMANN: rrchrh rrchrch (Räuspern)
UNFRIED: Aber Sie verdienen kein Geld!
KORFMANN: Wenig.
UNFRIED: Stimmt es, daß Sie unter mehreren Pseudonymen schreiben, nur um Autorenhonorare zu sparen?
KORFMANN: Wer hat Ihnen denn das erzählt?
UNFRIED: Journalisten haben ihre Quellen.
KORFMANN: Also, wir haben realexistierende Autoren. Aber eigentlich zu wenige. Also schreibe ich hin und wieder etwas unter einem Pseudonym. Das kann manchmal ganz aufschlußreich sein. Kürzlich schrieb ich unter einem weiblichen Namen, und prompt meldeten sich einige Frauen, die meinten, das sei endlich mal wieder ein guter Artikel gewesen.
UNFRIED: Herr Korfmann, jetzt mal ganz ehrlich: wie lange wollen Sie noch so weitermachen?
KORFMANN: Keine Ahnung.
UNFRIED: Und was werden Sie danach machen? Eine Weddinger Chronik ?
KORFMANN: Nasenbohren.
UNFRIED: Herr Korfmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
KORFMANN: Es war mir ein Vergnügen, Herr Unfried.

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