Kreuzberger Chronik
Oktober 2003 - Ausgabe 51

Die Geschäfte

Barlaam's Haide


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von Ina Winkler

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Als Angela Weber bei dem Stadtmagazin zitty anrief und erzählte, daß sie eine Kneipe in Kreuzberg eröffnen würde, war der Redakteur erstaunt: »Wenn wir jeder Kneipe, die in Berlin eröffnet, auf die Beine helfen sollten, wo kämen wir da hin?« – Womit er nicht ganz Unrecht hat.
Daß »Barlaam’’s Haide« einst einmal der zitty auf die Beine und damit auch dem Redakteur in seinen Bürosessel geholfen hat, konnte der Mann nicht ahnen. Denn als das Kneipenkollektiv aus der Fidicinstraße dem Stadtmagazin mit einem Solidaritätsbeitrag vom statu nascendi in die Berliner Realität verhalf, lag der Redakteur womöglich noch in den Windeln. »Barlaam’’s Haide«, das ist längst Geschichte, das war vor über dreißig Jahren eine jener legendären Kneipen, die sich, von jugendlichem Optimismus und idealistischer Gesinnung angetrieben, einbildete, »eine Art sozialistische Zelle im Kapitalismus zu sein«, und vornahm, niemals Profit in die eigene Tasche zu wirtschaften, stattdessen aber alles, was an Geld übrigblieb, in alternative Projekte zu investieren. Zum Beispiel in das neu gegründete Stadtmagazin »zitty«.

Das war kein einsamer Einzelfall, auch andere Kollektive unterstützten je nach Laune und Gesinnung Kuba oder Nicaragua. Doch die Zeiten, als zwei Handvoll Studenten drei Zimmer in einem Kreuzberger Souterrain mieteten, sich nachts ihr Studium mit dem Bierausschank finanzierten und den Rest verteilten, sind vorüber. »Natürlich waren wir alle ein bißchen spinnert damals. Und irgendwie sind wir es wohl immer noch. Sonst würden wir das nicht nochmal machen. Aber es war eben eine schöne Zeit!« Und ein bißchen davon soll nun noch einmal aufleben.

Barlaam?s Haide damals
Barlaam's Haide damals, Ecke Fidicinstraße und Mehringdamm. Foto: Barlaam's Haide

Sie waren meistens zwölf Leute und lebten in zwei Häuschen in der »Gartenstadt« in Tempelhof. Bei Tage studierten sie und bei Nacht wechselten sie sich in der Kneipe ab. Weihnachten und Ostern feierten sie in ihrer »Haide«, die Kneipe war ihr Wohnzimmer. Mit ihren Gästen unternahmen sie Ausflüge, luden die Freunde zum Spanferkel, organisierten Schnitzeljagden, Fußballturniere mit Bierfäßchen am Spielrand und Murmelmeisterschaften. Sie kündigten ein »Brennballturnier« im Park an – eine deutsche Spielart des Baseballs –, was prompt die Polizei auf den Plan rief, die glaubte, es handele sich um eine Art Molotowcocktail. Sie holten, wenn ihnen nachts wegen der vielen Gäste das Bier ausging, gegenüber in der Schultheissbrauerei ein neues Faß, denn das Brauhaus hatte für Notfälle dieser Art noch 24 Stunden geöffnet.

Ob »die Haide«, 32 Jahre später, jenseits des Kreuzbergs und in der menschenleeren Eylauerstraße, wieder wird, was sie einmal war, ist ungewiß. Doch ist das wiederauferstandene Kollektiv heute noch unabhängiger als damals. Denn eigentlich haben alle, trotz Kneipe, Sex und Rockmusik, am Ende brav studiert, und jene, die nun wieder mit dabeisind im Kollektiv, ihren Weg schon gemacht.

Trotzdem trafen sie sich wieder, sechs von der alten Truppe und neue Freunde. Sie diskutierten »wie in guten alten Zeiten«, legten Geld zusammen und begannen, das ehemalige »Casablanca« zu renovieren, ein Lokal, das seit Jahren ein Schattendasein hinter verschlossenen Fensterläden führte. Sie haben die Läden wieder hochgezogen, die Wände gelb gestrichen, die ersten Gäste kamen: der Hausmeister, Nachbarn, und manchmal einer von damals. So wie jener Gast, an den sich keiner mehr erinnern konnte, weil niemand sich diesen adrett gekleideten Grauhaarigen mehr als langhaarigen Freak vorstellen konnte.

Kollektiv damals
Das Kollektiv damals ... Foto: Barlaam's Haide

Noch sind es wenige, die sich im neuen Wohnzimmer einfinden aber man denkt optimistisch. »Wir sind in dem Alter, wo man abends gerade noch mal ’ne Runde mit dem Hund dreht, weil man keine Lust mehr hat, alleine loszuziehen und irgendwo allein am Tresen zu sitzen, weil man niemanden mehr kennt. Jetzt müssen wir abends wenigstens wieder los – genau wie damals.«
Auch sonst ist es fast wie damals, mit den alten Freunden, ein bißchen von der alten Musik, und mit dem alten »Haidetrunk«, dieser verrückten Kreation aus Weinbrand, in dem eine Zitronenscheibe, beträufelt mit Zucker und Nescafé, schwimmt. Mit Rum übergossen und angezündet bringt das alternative Gebräu aus der Fidicinstraße noch heute sämtliche Geschmacksnerven durcheinander.

Kollektiv heute
... und heute. Foto: Michael Hughes

Zehn Jahre hielt sich das Wohn- und Arbeitskollektiv, dann stabilisierten sich die ersten Beziehungen, aus wilden Ehen wurden friedliche, Kinder wurden geboren, und nach und nach zog man aus den kollektiven Gartenhäuschen zuerst in die Miet- und später in die Eigentumswohnungen. Man eröffnete Praxen und Kanzleien, wurde Studienrat und Schuldirektor, Notar und Rechtsanwalt – das Leben war plötzlich ganz normal. Nur manchmal vielleicht ein kleines bißchen langweilig. Damit wird nun Schluß sein: »Barlaam’’s Haide« No. 2 soll dafür sorgen. <br>

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