Kreuzberger Chronik
November 2003 - Ausgabe 52

Das Thema des Monats

Unter Strahlen


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von Thomas Heubner

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Bonjour tristesse. Das Haus an der Ecke Monumenten-/Eylauer Straße besticht durch seine Schlichtheit. Aus dem offenen Abstellraum, vor dem ab und an zerbeulte Aldi-Einkaufswagen entsorgt werden, wabert aus überquellenden Müllbehältern beißender Geruch. Daneben, im Parterre, eine Berliner Instanz: Hier hat »Holst am Kreuzberg« seit vielen Jahren sein Domizil. Am Wochenende, wenn Tante Hertha ihre Ballkünste zelebriert, ist über der Eingangstür Blauweiß geflaggt. Dann hocken die beinharten Stammgäste im Kollektiv am Tresen und schauen live »Premiere«. Sonntags zum Frühschoppen gibt es für alle einen Freidrink und Bingo, freitags abends treffen sich im Vereinslokal der Skat-Club »Reiz an Berlin« und die »Kreuzberger Rommé-Bande«. Erlebnisgastronomie im Kiez.

Doch in der friedlichen Idylle brodelt seit kurzem Unruhe, köchelt Verunsicherung. Das liegt jedoch weder an Holst noch an Hertha, sondern an einem mächtigen Antennenmast. Eine Sendeanlage, wie man sie eben für den Mobilfunk benötigt. Man muß sich schon ziemlich den Hals verrenken, um den Mast zu erkennen, der sich stolz auf dem Dach des Eckhauses in die Höhe reckt. Das Symbol der modernen Informationsgesellschaft wurde in den frühen Morgenstunden eines schönen Augusttages blitzschnell aufs Dach montiert. Für solche Anlagen, die bis zu 250.000 Euro teuer sein können, kassieren Vermieter an anderen Orten vom Betreiber im Schnitt eine einmalige Zahlung von 5.000 sowie eine Jahresmiete von bis zu 20.000 Euro. Doch weder die Hausbewohner – die meisten von ihnen in Sozialwohnungen lebende Ausländer – noch die Anwohner in der Nachbarschaft wurden über die Antenneninstallation vorher informiert, geschweige denn nach ihrem Einverständnis gefragt.

Denn wat den eenen sin Uhl, dat is den annern sin Nachtigall. Was Handybesitzer im allgemeinen erfreut und die Herzen derjenigen fröhlich vibrieren läßt, die per UMTS bunte Bildchen vom einen Telefondisplay zum anderen schicken, läßt andere skeptisch den Kopf schütteln. In der Eylauer und der Monumentenstraße sind die Anwohner wegen der unsichtbaren Strahlung, unter deren Schirm sie neuerdings leben, »not amused«. Protestschreiben wurden aufgesetzt, Unterschriftenlisten gehen um, eine Anwohnerinitiative für den Abbau der Antenne hat sich formiert.

Thorsten Michaelis gehört zu denen, die sich mit der Innovation auf dem Dach nicht so einfach abfinden wollen. »Klar, vom bloßen Anblick einer solchen Antenne ist noch keiner tot umgefallen«, erklärt er gelassen, »aber so völlig ohne gesundheitliches Risiko arbeiten die Dinger eben auch nicht«. Der Mann weiß, wovon er spricht, hat er doch berufsmäßig mit Funk- und Radiotechnik zu tun. Auch Olaf Frohn, der manchmal vom Balkon seiner Freunde die Aussicht auf den strahlenden Sendemast genießt, kennt sich aus. Als Ingenieur für Nachrichtentechnik weiß er um den Einfluß von gepulster Hochfrequenz-Strahlung, wie Fachleute den Handy-Smog nennen: »Hier geht es um unsichtbare Verschmutzung unserer Umwelt mit elektromagnetischen Feldern, die dummerweise auch auf den menschlichen Organismus wirken.«

Aus der eigenen Arbeit und aus dem Studium seriöser wissenschaftlicher Forschungsergebnisse hat er Kenntnis darüber, daß elektromagnetische Felder längst in die gleiche Gefahrenkategorie wie Chloroform, Blei oder Tetrachlorkohlenstoff eingeordnet werden. Auch wurde nachgewiesen, daß Mobilfunkfelder bei Menschen langfristig Körperzellen erwärmen, Blutgefäße in Eigenschwingungen versetzen und die Aktivität von Enzymen und somit auch Nerven- und Muskelzellen beeinflussen. Bislang ist es den Wissenschaftlern nicht gelungen, hundertprozentig auszuschließen, daß die unsichtbaren Strahlen Auswirkungen auf die weißen Blutkörperchen haben können, und auch die von Kritikern befürchteten Veränderungen des Erbmaterials konnten kurzfristige Studien bislang nicht eindeutig widerlegen. Mögliche Symptome, sagen die Kritiker, wären Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, verschwommenes Sehen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen und -verlust.

»Ich fühle mich einfach unwohl in direkter Nachbarschaft zu der Antenne«, sieht sich Catharin Eckardt durch die Symptombeschreibungen bestätigt. Auch sie engagiert sich in der Anwohnerinitiative. »Mein Arzt hat bei mir schon vor Jahren eine Elektro-Sensibilität diagnostiziert, weshalb ich schon sämtliche Elektrogeräte aus meinem Schlafzimmer verbannt habe. Und jetzt soll ich mich von diesem Antennenmonstrum bestrahlen lassen?«, fragt die Sozialpädagogin.

Die Sorgen und Ängste der Leute angesichts des Handy- und Elektrosmogs sind verständlich. Allein bei Handys stieg seit 1998 die Ausstattung deutscher Haushalte von 11 auf 73 Prozent; bei den unter 25jährigen ist heute fast jeder mit einem Mobiltelefon ausgerüstet. Ein Bombengeschäft. Vor allem für die Netzbetreiber wie T-Mobile, Vodafone oder E-Plus. Es geht um Investitionsvolumen in Milliardenhöhe, mittlerweile ragen etwa 60.000 Sendemasten in den deutschen Himmel, ein Viertel davon – so wird geschätzt – sind Schwarzbauten, also ohne kommunale Baugenehmigung errichtet. Für die neue UMTS-Technologie wird jedoch noch die doppelte bis dreifache Menge von ihnen notwendig sein. Schließlich hatten sich die Netzbetreiber, als sie von der Bundesregierung für teures Geld die UMTS-Sendelizenzen kauften, vertraglich verpflichtet, bis Ende 2003 ein Viertel der deutschen Bevölkerung mit dem neuen Handy-System zu versorgen. Geldlogik: Die ausgegebenen Milliarden für den Lizenzkauf müssen nun wieder reingeholt werden, möglichst rasch und koste es, was es wolle. Doch sogar die Gesundheit?

Handy 2005
Zeichnung: Nikolaos Topp
Bei der zuständigen Hausverwaltung, der Reika Verwaltungsgesellschaft für Immobilien mbH, die laut Eigenpräsentation im Internet immerhin rund 3.000 Wohnungseinheiten verwaltet und ein Mieteinnahmevolumen von 15 Millionen Euro im Jahr verzeichnet, gibt man sich gegenüber den Fragen der Bürgerinitiative zugeknöpft. »Wir haben nur Verträge abgeschlossen« entgegnet eine Mitarbeiterin auf die Frage, warum Mieter und Nachbarschaft nicht über den Antennenbau informiert wurden. Besorgte müßten sich an die Betreiberfirma wenden. Zum Vermietungsvertrag selbst und der Baugenehmigung darf oder kann sie ebenfalls nichts sagen, außer, daß »von unserer Seite aus alles rechtens« ist.

Die Hausverwaltung hat offensichtlich ein reines Gewissen. Schließlich erhält sie Rückendeckung vom Bundesamt für Strahlenschutz, das sich darum kümmern soll, daß die umstrittenen Strahlen keine gesundheitliche Schädigung für die Bürger mit sich bringen. Die Regulierungsbehörden haben nicht nur gesetzliche Grenzwerte festgelegt, sondern fleißig ganze »Vorsorgepakete erarbeitet«, die die Gesundheitsrisiken eindämmen oder gar ausschließen sollen. So legt die DIN-VDE 0848 »Grenzwerte für hochfrequente Felder« fest. Dazu wurden vielfältige Experimente durchgeführt, deren Ergebnisse allesamt keinen schädigenden Einfluß auf erbtragende Strukturen nachwiesen. In aller Bescheidenheit führte man die Versuche freilich in vitro, d. h. im Reagenzglas durch, die Gesamtfunktionalität des menschlichen Körpers blieb also unberücksichtigt. Natürlich attestiert auch die Industrie in Heiliger Allianz den Handy-Antennen Unbedenklichkeit. Beispielsweise verkündete jüngst ein »Informationszentrum Mobilfunk« in großformatigen Anzeigen: »Die Meßwerte von Mobilfunkfeldern betragen in der Regel weniger als ein Hundertstel des zulässigen Grenzwertes.« …

Andere Branchen allerdings schlucken solche Beruhigungspillen nicht. So zum Beispiel gewähren deutsche Haftpflicht-Versicherungen den Mobilfunk-Unternehmen keinen Versicherungsschutz mehr bei Schadensersatzansprüchen aufgrund gesundheitlicher Schäden durch elektromagnetische Strahlung von GSM-Mobilfunk-Sendeanlagen. Und Immobilienmakler zählen die Handy-Antennen mittlerweile zu »nachteiligen baulichen Veränderungen«, die den Wert eines Hauses senken!

Auch die Lehrerin Brigitte Arendt bleibt argwöhnisch. »Strahlende Zukunft? Ich will mich nicht damit vertrösten lassen, daß fundierte wissenschaftliche Untersuchungen über Auswirkungen von Handysmog angeblich erst nach Langzeitstudien in ein paar Jahren vorliegen können. Wenn ich weiß, daß in meiner Pilzsuppe ein Giftpilz ist, werde ich mich hüten, diese Suppe auszulöffeln.«

Pilze im Essen
Zeichnung: Nikolaos Topp
Dr. Beate Robben, Internistin und Mutter, ergänzt ihre Nachbarin: »Die Gefahren für Kinder sind auf jeden Fall größer als für uns Erwachsene, weil sich deren Organismus erst noch entwickeln muß. Ich verstehe nicht, warum die Antennenbetreiber und Vermieter nicht an die Kleinen in den Kitas oder auf dem Spielplatz im Viktoriapark gedacht haben, die im Nahfeld der Strahlung liegen? Wie lange wollen wir uns noch widerspruchslos von der Wirtschaft irgend etwas vorsetzen lassen?«

Es reicht, findet auch das Fähnlein der Aufrechten, das den Handy-Mast so schnell wie möglich wieder vom Dach kippen will und sich regelmäßig freitags abends in der Pizzeria »Aubergine« trifft. Die Wirtin ist gemeinsam mit Petra Jahneke unterwegs gewesen und hat juristischen Rat eingeholt: man könne sowohl zivil- als auch verwaltungsrechtlich auf Unterlassung und Schadensersatz klagen. Es gebe schon eine Reihe von Gerichtsurteilen, in denen Anwohner und Wohnungsbesitzer gegen Mobilfunkanbieter erfolgreich klagten, Mietminderung durchsetzten oder den Abbau der Sendeanlagen erwirkten. Ein Urteil verpflichtete den Hauseigentümer sogar, seine hauptsächlich von Sozialhilfe lebenden Mieter an den Einnahmen durch den Antennenstandplatz zu beteiligen. So zeichnet sich in der Rechtsprechung allmählich der Trend ab, den Klagen der Bürger gegen Handy-Masten in reinen Wohngebieten recht zu geben.

Die Nachbarn am Kneipentisch rücken beim Bier zusammen, die kleine Anwohnerinitiative tankt Optimismus. Gegenüber bei »Holst«, im Haus mit der Antenne auf dem Dach, kuscheln sich die Hertha-Fans leise aneinander und legen Trauerflor an. Ihre angebeteten Götter sind die Kellerkinder der Bundesliga. <br>

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