Kreuzberger Chronik
Juli / August 2003 - Ausgabe 49

Strassen, Häuser, Höfe

Die Pfuelstraße


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von Arnulf Siebeneicker

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Bei den Griechen«, wußte der Pädagoge Johann Christoph Friedrich Guths Muths 1798 zu berichten, »galt das Schwimmen als wichtiger Theil der Erziehung, was ein Sprichwort am schlagendsten beweist: Er kann weder schwimmen noch lesen.« Seit dem Mittelalter war das Baden in Teichen und Flüssen dagegen verpönt. Kirche und Staat verfolgten das harmlose Vergnügen als teuflisches Werk und öffentliches Ärgernis. Neben den Lehrern waren es um 1800 vor allem die Generäle, die den Wert dieser Leibesübung wiederentdeckten: »Die europäischen Armeen werden zu allem abgerichtet, nur nicht zum Kriege. Das Schwimmen wäre weit nützlicher als der ganze Paradetanz«, kritisierte ein Kenner der traditionellen Militärausbildung. Niemand nahm sich diesen Ratschlag mehr zu Herzen als Ernst von Pfuel.

Der 1779 in Jahnsfelde geborene Knabe stammte aus einer reichen märkischen Adelsfamilie. Kaum war er dreizehn Jahre alt, steckte man ihn in die Berliner Kadettenanstalt. Dort beklagte der aufgeweckte Sprößling einen Mangel an geistigen Entfaltungsmöglichkeiten: »Der preußische Schneckengang benimmt mir alle Hoffnungen, mich emporzuschwingen!« Dennoch stürzte er sich mit Eifer in die Schlachten gegen Napoleon. Er erlebte die vernichtende Niederlage der Preußen bei Jena und Auerstedt ebenso an vorderster Front wie den schmachvollen Rückzug des französischen Kaisers aus Rußland. Dabei verlor er nicht den Blick für die entsetzlichen Seiten des Krieges: »So Grauenhaftes wie in Wilna werde ich schwerlich jemals wieder erleben. In meinem Quartier knarrten die Fensterläden, und der Wind schnob eisig herein. Ich bedeutete dem Wirt, den Uebelstand abzustellen, was auch geschah. Als ich am nächsten Morgen die Fensterläden öffnete, fand ich, daß der Wirt als Fensterstützen und Ladenhüter steifgefrorene Grenadiere der alten Garde verwendet hatte.«

Überall, wo Pfuel länger stationiert war, führte er den Schwimmunterricht für Soldaten ein. In Prag, wo er als Hauptmann eines österreichischen Regiments diente, gründete er 1810 die erste Militär-Schwimmschule der Welt. Wöchentlich veranstaltete er dort zwei »Produktionen«, bei denen er bis zu 150 Schwimmer manövrieren ließ. Eine ähnliche Institution rief er 1813 in Wien ins Leben. Nach Berlin zurückgekehrt, begeisterte er schließlich auch König Friedrich Wilhelm III. für seine Idee: 1817 entstand in der Nähe des Oberbaums eine aus Holz errichtete offene Flußbadeanstalt, die über hundert Jahre lang existierte. Wie ihre Vorgängerinnen in Prag und Wien war sie nicht nur für die Soldaten der umliegenden Kasernen, sondern auch für »Zivilisten« beiderlei Geschlechts zugänglich. Heute erinnert nur noch der Straßenname am Kreuzberger Spreeufer an den Standort dieser Zucht- und Vergnügungsstätte.

Wie schon Guths Muths, so hielt auch Pfuel das Brustschwimmen für die effektivste Methode der Fortbewegung im Wasser. »Der Frosch ist ein vortrefflicher Schwimmer, und unser Lehrmeister ist gefunden, denn die Beschaffenheit seines Körpers ähnelt in den Teilen, welche hauptsächlich zum Schwimmen nothwendig sind, sehr der des Menschen. Er hat lange Hinterbeine, und seine kurzen Vorderbeine mit ihren fingerartigen Zehen vertreten die Stelle der Arme, darum wollen wir schwimmen lernen wie der Frosch.« Pfuel machte die Angel-Lehrweise populär, wobei der Anfänger in einem Gurt hängt und auf Kommando die verschiedenen Schwimmbewegungen ausführt, zuerst auf einem Hocker am Beckenrand und dann im Wasser. Es war jedoch nicht einfach, seine Prager Rekruten zum Sprung in das kühle Naß zu bewegen: »Viele verlegten sich auf’s Kapituliren, um ein langsames Hineinlassen zu gewinnen und den Kopf vor dem Untertauchen zu retten, andere sahen trübsinnig hinunter wie in’s Grab, und wurden blaß und bläßer, so wie der Meister seine Aufmunterung steigerte; noch andern klopfte das Herz, daß der Gurt sich bewegte, und einer schlug sogar ein großes Kreuz über sich, um doch christlich zu enden.«

Woher aber stammte der Hang des Generals zum nassen Element? Interessierte ihn wirklich nur die körperliche Ertüchtigung der Soldaten oder die bessere Einsatzfähigkeit von Armeen, die Flüsse ohne Brücken überwinden konnten? Oder lockten ihn nicht auch die sinnlich-erotischen Verheißungen des Spiels der Körper im wogenden und strömenden Wasser? In seiner Jugend nämlich war Pfuel der engste Freund Heinrich von Kleists gewesen. Beide hatten im Potsdamer Infanterieregiment Nr. 18 gedient. Gemeinsam waren sie 1803 zu einer langen Reise in die Schweiz, nach Italien und Frankreich aufgebrochen. Zwei Jahre später schrieb ihm der junge Dichter einen zärtlichen Brief: »Ich habe deinen schönen Leib oft, wenn du in Thun vor meinen Augen in den See stiegest, mit wahrhaft mädchenhaften Gefühlen betrachtet. Er könnte wirklich einem Künstler zur Studie dienen. Dein kleiner krauser Kopf, einem feisten Halse aufgesetzt, zwei breite Schultern, ein nerviger Leib, das Ganze ein musterhaftes Bild der Stärke, als ob du dem schönsten jungen Stier, der jemals dem Zeus geblutet, nachgebildet wärest.« Sein Brief endet in dem Versprechen: »Ich heirathe niemals, sei du die Frau mir, die Kinder, und die Enkel!« Pfuel versteckte dieses Schreiben. Seit es im Nachlaß gefunden wurde, rätselt die Kleist-Forschung über das Verhältnis der beiden Freunde zueinander.

1808 jedenfalls heiratete Pfuel die Generalstochter Karoline Adelheid von Bayern. Nach den napoleonischen Kriegen machte er eine steile Karriere, seine Frau folgte ihm von einem Dienstposten zum anderen und zog dabei eine Tochter und fünf Söhne groß. Sie trennte sich 1830 von ihm, als er einen Seitensprung mit Emilie Wahlert wagte, die seine zweite Frau wurde. Bei seinen Aufenthalten in Berlin gehörte Pfuel zu den wenigen Militärs, die im Salon der Rahel Varnhagen verkehrten. Er genoß den Ruf eines liberalen und reformfreudigen Soldaten. Die Märzrevolution braute sich gerade zusammen, als Pfuel zum Gouverneur der Hauptstadt ernannt wurde. Drei Tage später, am 15. März, stellte er sich vor seine Infanteristen, die auf das aufgebrachte Volk angelegt hatten, und verhinderte ein Blutvergießen. Das kostete ihn den Posten. Wenige Monate später aber war er Ministerpräsident und Kriegsminister, geriet jedoch abermals zwischen die Fronten und verschwand nach fünf Wochen endgültig von der politischen Bühne.

In seiner Jugend hatte Pfuel zusammen mit Kleist an einem Unterseeboot gebastelt und ein Fluggerät konstruiert. Nun hatte er genügend Zeit, wissenschaftliche Vorträge zu besuchen und sich über die technischen Wunderwerke zu informieren, die auf den Weltausstellungen in London und Paris gezeigt wurden. 1866 starb er in Berlin. Ob er in seinen letzten Lebensjahren noch das 1855 in der Schillingstraße eingerichtete erste Hallenbad der Stadt besucht hat, ist nicht überliefert.

Literatur:
Bernhard von Gersdorff: Ernst von Pfuel, Berlin 1981.
Ernst Gerhard Eder: Bade- und Schwimmkultur in Wien, Wien / Köln / Weimar 1995.


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