Kreuzberger Chronik
Juli / August 2003 - Ausgabe 49

Herr D.

Herr D. im Verhör


linie

von Hans W. Korfmann

1pixgif
Herr D. kam aus dem Urlaub. Der Flieger war bis zum letzten Platz besetzt mit vom überfüllten Flughafen erschöpften Urlaubern, kreischenden Kindern und genervten Stewardessen. Lediglich einige junge Leute tauschten gutgelaunt ihre Reiseerfahrungen aus.


Neben Herrn D. saß eine junge Frau. »Sie sind aber auch ganz schön braun!«, sagte sie. »Wie lange waren Sie denn hier?« – »Ach, gar nicht so lange«, antwortete Herr D., der zweimal mit dem Buch auf dem Bauch im Liegestuhl eingeschlafen war und eine luxuriöse Bräune aufwies.Am nächsten Tag, Herr D. schob gerade sein heißgeliebtes Fahrrad aus dem Hof, stieß er auf seinen Nachbarn, Herrn Meier, arbeitslos und nun fanatischer Hobbyhandwerker. »Mann, Sie sind aber braun geworden!« Aus dem arbeitslosen Nachbarn sprach eine Spur des Neides, die Herr D. durchaus verstand. Andererseits brauchte man nach einem Jahr in diesem Büro mit dem einsamen Gummibaum und den getönten Scheiben dringend eine Abwechslung. Aber wie sollte Herr Meier das verstehen, den schon ein unverputzter Rohbau glücklich gemacht hätte.

»Wie lang sind Sie eigentlich fort gewesen?« – Herr D. hatte die Frage erwartet. Meier hatte gewiß registriert, daß der Nachbar nicht die landesüblichen zwei Wochen abwesend gewesen war. Aber Herr D. war schon winkend davongeradelt.

Kaum war er im Amt, kam ihm der Kollege Niemann entgegen: »Mann, D., Sie sind aber mächtich braun geworden, wa! Wo ha’m Sie sich denn die ganze Zeit herumgetrieben?« – Herr D. erinnerte sich, daß der Kollege mit Vorliebe nach Monaco, Cannes oder in die Toskana fuhr, und schlagartig wurde ihm klar, daß seine überdurchschnittliche Bräune bei der Erwähnung seines durchschnittlichen Badeaufenthaltsortes augenblicklich verblassen würde. Herr D. verstand in diesem Augenblick außerdem, daß die Zeiten der aristokratischen Blässe endgültig vorüber waren. Jetzt war die Bräune ein Zeichen des Wohlstandes, an der Bräune wurde man gemessen.

Und Herr D. würde es mit seiner Dreiwochenmittelmeerbräune niemandem recht machen können: den Reichen nicht, denen das Mittelmeer zu mittelmäßig war, und den Armen nicht, für die drei Wochen Süden ein Luxus geworden ist.

Voller Erwartung blickte Kollege Niemann Herrn D. an, doch der winkte ab und murmelte etwas von Kreta, so eine Insel eben, auf die sie alle fahren, Last minute … – Der Kollege nickte zustimmend, und D. sah zu, daß er weiterkam. Aber als ihm dann im Gang die Schmitt entgegenkam, mit ihrer Korallenkette und dieser ekelhaften Karibikbräune, als sie ihn, der vorsichtshalber schon einmal das Tempo erhöht und größte Eile vorgetäuscht hatte, aus vollem Lauf stoppte und rief: »Mann, D., wo sind Sie denn gewesen? Sie sehen ja aus, als hätten Sie sechs Wochen in der Karibik verbracht! Waren Sie segeln?«, da war sie hin, die ganze Erholung.
»Nein, verdammt – ich war in Berlin! Am Flughafensee!«, sagte Herr D.
»Wissen Sie, ich spare mal, vorsichtshalber. Man weiß ja nie, wie lange man seinen Arbeitsplatz noch hat!« Dann drehte er zufrieden ab.
Im Lauf seines ersten Arbeitstages fragten ihn noch viele nach seiner Bräune, eigentlich jeder, den er traf, und als Herr D. am Ende wieder auf seinem Rad saß – von dem ihn so schnell niemand herunterholen konnte, nur um ihn mit dieser Frage zu belästigen – als er also endlich wieder seine Ruhe hatte, da schwor er sich, seinen nächsten Urlaub nicht ohne Sonnenschutzfaktor 348 anzutreten und sich nie wieder mit einem Buch in einen Liegestuhl am Strand zu legen. Vielleicht würde er überhaupt in Zukunft bevorzugt in der nebligen Eifel oder im regnerischen Irland urlauben. <br>

zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg