Kreuzberger Chronik
April 2003 - Ausgabe 46

Die Reportage

Kreuzberg ruft zum Frieden auf


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von Michael Unfried
Fotos: Dieter Peters


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Michael Prütz kommt mit einer kleinen Kiste voller Kabel, Stecker und Flugblätter, sowie zwei Lautsprechern unter dem Arm. Einige Kriegsgegner und Neugierige haben sich eingefunden, zwei Transparente sind aufgespannt, ein Tisch mit Flugblättern und Informationsbroschüren ist aufgestellt, »die Rolle der Bundesrepublik im Irakkonflikt« wird erklärt. Zwei männliche und ein weiblicher Polizist stehen in der Nähe der Würstchenbude und unterhalten sich über das Finale von »Deutschland sucht den Superstar«.

Auf dem Markt am Maibachufer gegenüber ist der Andrang größer. Da drängen sich die Menschen in Trauben vor den Ständen, kaufen bündelweise Plastiktüten voller Gemüse und frische Fische aus dem Mittelmeer, genug zum Kochen für die ganze Woche. Einige Meter weiter schlendern Autoliebhaber auf dem Trottoir auf und ab und inspizieren die Preise in den Scheiben der BMW und Mercedes, die auf dem inoffiziellen Gebrauchtwagenmarkt an der Kottbusser Brücke angeboten werden. Andere Männer stehen aus offensichtlicher Langeweile vor den Schaufenstern des türkischen Kaufhauses Adese und beobachten die Szene aus sicherer Distanz – auch wenn es nicht wahrscheinlich ist, daß es zu Turbulenzen kommt.
Denn es haben sich tatsächlich nicht mehr als fünfundzwanzig Menschen auf der Kundgebung eingefunden. Dabei geht es um Krieg und Frieden. Um »Keine Unterstützung für den Krieg«, und um »WIDERSTAND JETZT!«
Der Wille zum Widerstand scheint nicht so groß zu sein. Die Kreuzberger Initiative, die seit dem Dezember 2002 öffentlich gegen die amerikanischen Kriegspläne protestiert und die sich »Kreuzberg gegen Krieg« nennt, zählt heute 30 Aktive. Die Hälfte von ihnen ist am Kottbusser Damm versammelt. Das läßt die Zahl der Passanten, die stehenbleiben und zuhören, weiter schrumpfen. Die zierlichen Lautsprecher der Organisation schaffen es eben nicht bis in die ARD, nicht einmal bis in die Schlagzeilen der Tageszeitungen. Lediglich die taz und die Neue Welt haben dem Kreuzberger Bündnis bislang ihre Aufmerksamkeit geschenkt.

Kreuzberg gegen Krieg
Vielleicht hat die fehlende Resonanz der Medien ihre Gründe. Zwar spricht das Bündnis in seiner Gründungserklärung eine breite Gruppe von Kriegsgegnern an und möchte »gemeinsam mit vielen anderen in Berlin (…) diesen Krieg stoppen und die Beteiligung der deutschen Regierung in jeglicher Form verhindern.« Es weist auf das Leiden der irakischen Zivilbevölkerung unter dem von den USA verhängten Wirtschaftsembargo hin und fordert mit knappem Slogan »Kein Blut für Öl«.

Andererseits aber läßt es sich zu leicht in die verstaubte Ecke unverbesserlicher Altlinker drängen, wenn es mit Formulierungen wie dem »imperialistischen Krieg« oder der rotgrünen »Kriegspartei« Agitation in Wort und Stil der Siebziger betreibt. Die schwarz-weiß malenden Kategorisierungen taugen den Medien nicht mehr, und die Widerständler des 21. Jahrhunderts lassen sich damit nicht hinter ihren Bildschirmen hervorholen. Auch auf der zeitgerechten Internetpräsentation des Bündnisses tauchen alte Feindbilder, romantische Vorstellungen und Formulierungen aus der Studentenzeit auf.

Da ist die Rede von den »Fürsten der Finsternis« in Washington und London, die man mit »Solidarität und Gegenmacht von unten« bekämpfen muß. Da ruft man den deutschen Soldaten in Kuwait zu: »Verweigert den Dienst und desertiert aus der Armee!« Und den amerikanischen Kollegen: »Beteiligt Euch nicht an den Vorbereitungen und der Durchführung eines Krieges im Irak. Desertiert und taucht unter!« Das Bündnis »Kreuzberg gegen Krieg« »wird im Rahmen seiner Möglichkeiten Unterkunft und Verpflegung für die desertierten Soldaten zur Verfügung stellen«.

Auch wenn die Kreuzberger – angesichts des bescheidenen Rahmens ihrer Möglichkeiten – offensichtlich nicht mit vielen Deserteuren rechnen und realistischer sind, als es der Aufruf an die Soldaten vermuten lassen könnte: Sie erreichen mit den alten Parolen, selbst wenn sie noch immer die Wahrheit sagen und die einzigen Auswege aufzeigen, heute keine breite Öffentlichkeit mehr.
Pünktlich um 16 Uhr ist Michael Prütz vors Mikrophon getreten, hat kurz und bündig noch einmal erklärt, was in dem Flugblatt steht und worum es dem Bündnis geht: Stoppt den Krieg, Bundeswehr sofort aus Kuwait abziehen, Keine Überflugrechte für US-Bomber, Nein im UN-Sicherheitsrat, Aufhebung der Sanktionen gegen die irakische Bevölkerung, Für demokratische Selbstbestimmung der irakischen Bevölkerung.
Doch so deutlich, wie der Organisator es formuliert, sind die folgenden Redner nicht. Sie kommen aus den verschiedensten Lagern, es sind Schüler und Schülerinnen, Gewerkschaftsmitglieder und Parteimitglieder, Altlinke und Junglinke. Ihre Reden wenden sich gegen deutsches Kriegsgerät im Krisengebiet, gegen Spürpanzer in Kuwait, gegen Soldaten in Afghanistan und die Lügengeschichten, die die Presse verbreitet. Selten wenden sie sich gegen den geplanten Überfall der Amerikaner allein, sondern meistens rufen sie, wie in den guten, alten Zeiten, zur Bekämpfung des Systems auf, das letztendlich für diesen Krieg verantwortlich ist. Und sie beenden ihre Vorträge mit Sätzen wie: »Solange es Staaten gibt, solange wird es Krieg geben«.

Kreuzberg gegen Krieg
Am eindringlichsten ist die Rede einer jungen Frau, doch sie berichtet von persönlichen Erlebnissen in einem ganz anderen Krisengebiet. Sie erzählt von einem Kind, das in den Armen seiner Mutter verblutete, oder von drei Frauen, die starben, weil die Israelis keine Krankenwagen durchließen. Und sie fordert dazu auf, in die palästinensischen Gebiete aufzubrechen und an Ort und Stelle zu helfen. Als sie nach ihrer Rede noch einmal ans Mikrophon zurückgeht und ruft: »Wir sind alle Palästinenser!«, erinnert man sie daran, daß es hier eigentlich um den Irak geht. »Es ist genug jetzt!«

Es scheint, als hätte die Kreuzberger Initiative noch keine klare Linie gefunden. Nach fünfundvierzig Minuten verlieren sich die wenigen, die zugehört haben, wieder im Gewusel des Kottbusser Damms. In einigen Tagen wird man sich wieder im »Familiengarten« in der Oranienstraße treffen, um die nächsten Aktionen zu diskutieren.

Denn zu diskutieren gibt es genug. Die Briefe, die auf der Internetseite des Bündnisses »Kreuzberg gegen Krieg« eingingen, werfen berechtigte Fragen auf. »Chris« zum Beispiel fragt, warum die geplante Kreuzberger Demonstration am Tag X, dem Tag des Kriegsausbruchs, eigentlich zum Willy-Brandt-Haus gehen soll. Warum nicht besser ein paar Meter weiter, wo die tatsächlichen Kriegstreiber unter den deutschen Politikern säßen? Man denke nur an diesen Herrn Stoiber, immerhin ein potentieller Bundeskanzler.
Warum eigentlich, wundert sich ein »Berliner«, haben die Kreuzberger überhaupt zu dieser Demonstration am Tag X aufgerufen, wo doch am Tag des Kriegsausbruchs ohnehin eine Großkundgebung am Alexanderplatz stattfindet. Und ein anderer Leser wundert sich, weshalb nur die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger auf der Internetseite zum Treffpunkt am Kotti geladen werden. Dürfen die anderen nicht mitlaufen?
Ein anderer Leser findet das Unternehmen »Kreuzberg gegen Krieg« schlicht »fatal«, weil es die berlinweite Aktion nicht stützt, sondern »zersplittet. Überlegt lieber, ob Ihr Euch nicht doch zum Alex orientiert und am Tag X in die Bahn steigt. Zumindest solltet ihr auf Flyern und Homepage beide Termine angeben!« Noch deutlicher formuliert es Toni: »Es wird doch schon seit längerem zum Alex mobilisiert. Hört endlich auf mit dem lokalpatriotischen Scheiß!« Und fügt hinzu, daß er nicht aus Mitte, sondern aus Kreuzberg kommt.

»Hi Toni!«, antwortete ihm »Caroline« vom Aktionsbündnis »Kreuzberg gegen Krieg«, »Danke für Deinen Beitrag. Vielleicht kommst Du ja ins Max und Moritz, da können wir das dann diskutieren.« Das »Max und Moritz« in der Oranienstraße war eine zeitlang der Treffpunkt der Kreuzberger Kriegsgegner, jetzt ist es der Familiengarten, wieder in der Oranienstraße.

Die O-Straße, die kleine Achse des Friedens! Sie fällt kaum auf neben der großen, der Berliner Achse des Friedens, diesem Zusammenschluß verschiedenster Aktionsgruppen, über den Fernsehen, Radio und Zeitungen berichten. Und eigentlich gehört ja auch das Kreuzberger Bündnis zu der großen Kooperative. Doch waren die Kreuzberger enttäuscht über den Plan des Bündnisses, lediglich mit einer Kundgebung auf dem Alexanderplatz gegen den Krieg zu protestieren. Daß bei Beginn dieses Krieges nicht einige Tausend Leute spontan auf die Straße gehen sollten, das leuchtete den Kreuzbergern nicht ein. Mit Recht vielleicht. Eine Kundgebung, bei der alles so geregelt vor sich gehen wird wie auf einer braven Parteiversammlung, ist nicht der richtige Ausdruck für das Chaos, in das dieser Krieg zumindest den Irak stürzen wird.

Michael Prütz packt seine Kabel wieder in den Karton. Über tausend Euro hat er bereits aus eigener Tasche investiert, die Grünen und die PDS unterstützten ihn mit Sachmitteln. Der Durchbruch ist ihm jedoch auch am Kottbusser Damm nicht gelungen. Jetzt hat er den Liedermacher Manfred Maurenbrecher gefragt, ob er am 29. März für das Bündnis auftritt. Und Ben Becker wünscht er sich als Moderator. Vielleicht werden es dann ein paar mehr. Michael Prütz hat wohl eingesehen: Die Zeiten haben sich geändert. Und auch er spricht etwas zögernd bereits vom »Event«. Mit Recht. Denn um einen Krieg, egal welchen, zu stoppen, sind alle Mittel recht. <br>

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