Kreuzberger Chronik
April 2003 - Ausgabe 46

Essen, Trinken, Rauchen

Liebermanns in Libeskinds Museum


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von Michael Unfried

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Eine der Verhaltensregeln im Jüdischen Museum untersagt das Essen in den Ausstellungsräumen. Dafür jedoch heißt das Restaurant Liebermanns seine Gäste »jederzeit Willkommen«.
Dort gibt es Kaffee aus dem Automaten und Kuchen auf kleinen Tellern, unter Glas stehen Salate und verschiedenes Gemüse, es gibt Kebab, Fisch und Hühnerkeulen und israelische Vorspeisen und Nachspeisen. Streng koscher ist das alles nicht, auch das Besteck kommt aus der Spülmaschine. Die Einrichtung ist schlicht und hat Noblesse, der Raum ist hoch, das Rauchen dennoch verboten, und man unterhält sich mit gedämpfter Stimme.
An den Tischen sitzen Museumsbesucher aller möglichen Nationalitäten, in großen und in kleinen Gruppen, manche tragen noch die Mützen auf den Köpfen und Reiseführer in den Händen. Die Mitglieder großer Gruppen tragen als Erkennungszeichen einen gelben Button auf der Brust. Gelacht wird nur sehr selten bei Liebermanns.

»Wie kriegen wir nur die Leute hier rein?«, fragt ein Mann, der keinen gelben Button, sondern ein weißes Namensschild auf der Brust hat. »Da haben wir diesen schönen Hof zur Verfügung, und keiner sitzt da!« Die blonde Frau, der er sein Leid klagt, macht sich Notizen, und der Mann neben ihr sagt: »Wir müssen eben gezielt Werbung machen!« – Die blonde Frau, von der sich die Museumsmänner offensichtlich Hilfe erwarten, nickt: »Man könnte einen Studenten mit einem Schild durch die Stadt fahren lassen, auf dem steht: Restaurant Liebermanns im Jüdischen Museum!«

Auch am Nachbartisch macht man sich Sorgen. Neben den Kaffeetassen liegen die Notizblöcke. Es geht um den neuen Katalog. Die drei Männer sitzen einer jungen Frau gegenüber. »Wir sind froh darüber, daß Ihr Haus Interesse an diesem Projekt signalisiert hat«, sagt der Älteste. Die Frau nickt und nippt am Kaffee. Sie sagt nichts. »Wissen Sie, das soll ein Dauerbrenner werden in der deutsch-jüdischen Welt!« – Die Männer wechseln sich im Reden ab. »Wir hätten von Anfang an mehr reden sollen miteinander. Jetzt müssen wir das Ganze eben miteinander ausbaden«. Der Kaffee scheint der jungen Frau nicht mehr zu schmecken. Aber sie lächelt, wenn jemand sie ansieht. Meistens sieht einer der Gesprächspartner sie an. Als sie sagt, daß das letzte Angebot »bereits ein großes Entgegenkommen gewesen sei«, sehen alle drei sie an.

Zwischen den ernsten Tischgesprächen sitzt ein einsamer Leser und sticht ab und zu genußvoll in den süßen Apfelkuchen. Er blättert in einer jüdischen Zeitschrift. »Seven days« heißt sie und ist ein etwas veralteter »week review« vom 7. Februar. Auf der Titelseite sieht man einen Astronauten; Ilan Ramon, den ersten israelischen Astronauten der Weltgeschichte. Einen Helden, die ganze Seite gehört ihm. Der Leser kaut jetzt etwas langsamer. Dieser blinde Glaube in die erfolgreiche Mission des israelischen Raumfahrers, der schon wenige Tage nach Erscheinen dieser Zeitschrift im All verglühte, hat etwas Tragisches. Doch dann liest er, daß der ehemalige F-16-Pilot schon 1981 einen irakischen Atomreaktor bombardiert und damit womöglich einen atomaren Holocaust verhindert hat. Dem Leser bleibt der Apfelkuchen im Hals stecken.

Die Blonde am Nebentisch erhebt sich, packt ihr Notizbuch ins Handtäschchen und schüttelt die Hände. Sofort nehmen drei Herren Platz, sie sprechen Englisch, es geht um ein Abendessen mit vierzig Gästen, Cocktails, Suppen, israelischen Vorspeisen. Sie reden schnell und viel und durcheinander und leise, und jeder hat andere Ideen. Der Mann ganz am Rand mit dem Schildchen auf der Brust fragt plötzlich: »What are we talking about?« <br>

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