Kreuzberger Chronik
Mai 2002 - Ausgabe 37

Die Literatur

Robert Wolfgang Schnell: Rabenholz als Händler


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von Robert Wolfgang Schnell

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Es gab da einen Mann, der mit alten Klamotten handelte, einen richtigen Trödler. Anzüge, Tassen, Schirme, Mausefallen, Kristallgläser, Bücher, chinesische Vasen, Schränke, Hüte, Bronzefiguren, Säbel, Schuhe, Kinderspielzeug, Besen, Fernsehgeräte, Pfannen, Anzüge, Bilder, Schneiderpuppen, Kochtöpfe, Gardinen – die Überbleibsel einer Großstadt waren bei ihm zu haben. Sein Kommentar: »Was einer wegwirft, kann der andere gebrauchen, und ich vermittle das.« Natürlich für ein kleines Aufgeld von bis zu tausend Prozent, aber soweit ging er in den Erklärungen nicht. Der Aphorismus genügte ihm.

Er war überhaupt eine Zusammensetzung von verschiedenen Wirklichkeiten zu einem blumigen Gleichnis. Durch eine Beinverwundung aus dem Krieg war sein Gang ein heftiges Stampfen geworden. Über den Schenkeln schwabbelte weicher Freßbauch. An den Schultern, nicht allzu breit, hingen zwei Athletenarme mit hervortretenden Muskeln wie Bälle. Der Hals gedrungen, ein flacher Grabstein, darauf der Kopf zusammengesetzt aus den Schädeln von Cezanne, Toulouse-Lautrec, dem Müllkutscher Peniatzka und einem homosexuellen Baby. (…) Ein Individuum, das man eigentlich hassen sollte. (…)

Der Mann hieß Karl Rabenholz. (…) Er ließ sich selber gerne im Dunkeln, packte nur mal aus, wenn er sich einem Klügeren gegenüber vermutete. Sonst herrschte er. Und er hatte niemals Schwierigkeiten mit Aufsässigen und Unbotmäßigen, das Aufrührerische war aus seiner Umgebung verbannt. Dafür sollte später allein Veronika sorgen – aber so weit sind wir ja noch nicht.

Kam da ein Mütterchen, seinen Küchenschrank zu verkaufen, hatte eine Rentennachzahlung und konnte endlich die neue Resopalanrichte erwerben, schrie er es an: »Gute Frau, was wollen Sie für den Transport zahlen? Das Ding selbst kann ich nur vor die Kreissäge schmeißen. Zum Verbrennen, wenn der Ofen das Zeug frißt. Auch ein Feinschmecker.«

Er entsprach der erschrockenen Bitte, das Ding ohne Bezahlung abzuholen. Kam aber das Mütterchen, das gerade diesen alten Schrank brauchen konnte, sagte er (allerdings leiser): »Aber, gute Frau, fünfundzwanzig Mark? Wovon soll ich denn leben? Ich kann doch die Sachen nicht zum Fenster hinausschmeißen!« Er sah sie an mit seinen Augen wie Mandeln, die eben aus einem Klosett abfliegen wollten zum Mond, um dort die blaue Blume zu pflanzen, die hier unten zwischen den alten Schränken schon zertreten war. Rabenholz pflegte sie, nur er, der Hüter, der Fafnir mit dem Schwefeldampf. Dreißig Mark legte sie hin. Beglückt.

Olga Posiombka, »Flockenhexe« genannt wegen des Schaums in den Mundwinkeln, ging jeden Morgen um fünf Uhr mit einem Kinderwagen los, den sie gegen Mittag gefüllt bei Rabenholz vorfuhr. Gefüllt mit Kreuzberger Mülleimergut. Orden, Holzschächtelchen, Rubingläsern und Schnurrbarttassen.

Karl packte aus. »Olga, Olga, Olga!« Fast weinte er. »Was sind das für Sachen? Für so etwas vier Mark? Vier Mark -! Ist das kein Geld?«

Die Flockenhexe stand wie am Grab, aber sie blieb hart. »Für jeden Wagen vier Mark.«
»Richtig, richtig: Vertrag ist Vertrag. Nur der Tod löscht Verträge, aber man kann sie auch kündigen.« Dabei sah er Olga an. Ein Bernhardiner, die unteren Lider bekamen tiefe Ausbuchtungen. »Soviel hab ich heute noch nicht eingenommen, werde ich auch nicht einnehmen, kann ich gar nicht einnehmen. Damit doch wohl nicht!«
Selig die Flockenhexe schließlich mit ihren vier Mark.

»Man muß die Leute glücklich machen«, sagte Rabenholz seinem Bruder Abel beim Mittagessen.

Entommen aus: »Geisterbahn – Ein Nachschlüssel zum Berliner Leben«, Luchterhand Verlag, 1964 <br>

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