Kreuzberger Chronik
März 2002 - Ausgabe 35

Die Geschäfte

Der Saxophone Shop


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von Hans W. Korfmann

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Manchmal brennt noch spät abends Licht in der Werkstatt am Mehringdamm. Wahrscheinlich hat der Blechblasinstrumentenmacher Hans Joachim Pilar wieder einmal ein ziemlich demoliertes Stück zur Reparatur bekommen, von dem sich der Besitzer nicht trennen konnte. Es ist noch nicht lange her, da brachte man ihm ein Saxophon, das unters Auto gekommen war. Pilar sollte es wieder richten. Dann sitzt er und versucht, das verbeulte und verbogene Messingblech wieder in die alte Form zu bringen. »Wir machen Krumme gerade und Gerade wieder krumm!«, sagt Pilar. »Aber reich wird man mit Hammer und Zange nicht.« Deshalb sitzt er manchmal bis nachts um elf. »Das würde keine Familie mitmachen! Aber ich hab ja keine«, schmunzelt der Mann mit der Brille und dem freundlichen Gesicht und macht den Eindruck, als entlohne ihn das Handwerk für manche Entbehrung. »So etwas kann man nicht machen ohne Idealismus!«

Es hatte wohl nie etwas anderes aus ihm werden sollen. Schon Vater und Onkel waren Geigenbauer. Also lernte auch der Sohn bei Onkel Jaroslaw in Schöneberg zuerst einmal die Arbeit mit den hölzernen Klangkörpern. Aber eines Tages sagte der Vater: »Wir können doch nicht alle in der Familie Geigenbauer werden. Du mußt etwas anderes lernen.« Die fünfziger Jahre gingen schon dem Ende entgegen, die Zeit der preußischen Militärkapellen war längst vorüber, doch Hans entschied sich für Blechblasinstrumente. Vielleicht, weil er öfter in der Mittenwalder Straße beim alten Eschenbach war, der einmal für des Kaisers Kavallerie das glänzende Blech schmiedete und noch Hörner für Postillone zurechtbiegen konnte, und der voller Geschichten war. Er war einer der beiden letzten großen Blechblasinstrumentenmacher in Berlin, und als Hans sich für die Trompeten und Tuben entschied, gab es schon keine Innung mehr für den einst angesehenen Beruf in der Stadt. Hans mußte 1963 nach Bayern auswandern, um seinen Meister zu machen.

Damals formten sie die klingenden Hörner noch aus einem Stück Messing. Das war eine schwierige und langwierige Arbeit, mehrere Männer mußten zupacken, um das Blech allmählich um 180 Grad zu biegen. Heute bestehen die Instrumente aus zwei sichelförmig zugeschnittenen Blechen, die durch zwei Lötnähte miteinander verbunden werden. Damals hielt eine einzige Naht den großen Klangtrichter der Tuba zusammen, und damals klang eine Tuba auch anders. »Heute ist so eine Arbeit kaum zu bezahlen.« Stefan Stabo, der Mann, der einmal bei Pilar in die Lehre gegangen und nach Jahren wieder zum alten Freund und Meister zurückgekehrt ist, um die Werkstatt durch den Saxophone Shop zu erweitern, sagt: »Die meisten, die hierherkommen, sind Hobbymusiker. Die brauchen etwas Einfaches für den Hausgebrauch. Und die wirklichen Profis wiederum haben kein Geld. Weil man von der Musik ja nicht leben kann.«

Natürlich gibt es auch einige gutverdienende Ausnahmen. Andrea Fischer zum Beispiel, die Gesundheitsministerin, die früher ihr Baritonsaxophon mit dem Fahrrad transportierte und plötzlich mit dem Chauffeur vorgefahren kam. Aber auch Fremde, die nur auf der Durchreise sind, finden den Weg zum Mehringdamm. Es versteht sich eben in Berlin niemand so gut auf Saxophone wie diese beiden Idealisten Stabo und Pilar. Archie Shepp brachte ihnen sein bestes Stück noch persönlich vorbei und plauderte eine ganze Weile mit den Handwerkern. David Bowie oder Marius Müller-Westernhagen schickten ihre Saxophone aber lieber per Roadie. »Und einmal standen hier zwei Typen mit ’nem Sax im Laden – ziemlich abgewrackt, aber die hielten sich für unheimlich gut. Der eine blies dann ein bißchen rum, das hörte sich gar nicht professionell an. Und dann stellte sich heraus, daß der einst bei Pink Floyd geblasen hatte.«

Stabo hätte das wahrscheinlich besser gespielt. Aber so ist das eben: Einer steht auf der Bühne und erntet den Applaus, der andere feilt hinter zugezogenem Vorhang unsichtbar am Klang. Und dann, wenn so ein Blechblasinstrumentenmacher wie Stabo doch einmal auf der Bühne steht, so wie im »Havanna« vor zwölf Jahren, dann klauen sie ihm nach dem Konzert noch sein liebstes Saxophon. Ein Stück aus dem Jahre 1956, das einmal keiner mehr spielen wollte, weil es so altmodisch aussah. Später aber kam man darauf, daß das alte Selmer aus Paris eines der besten gewesen ist. Und dann taucht Jahre danach einer auf, wieder so ein runtergekommener Typ, und bringt ihm ein Saxophon zur Reparatur in den Laden. »Ich denk, verdammt, das kenn ich doch!« Jetzt steht es wieder in der Vitrine, das Schmuckstück mit seinem alten, trüben Glanz.

Saxophone Shop
Foto: Privatarchiv Pilar
Es finden sich eben doch alle wieder hier ein, die Saxophone, die Tuben, die Trompeten, und ihre Spieler. Wo sollen sie sonst hin, wenn die ledernen Polster nicht mehr schließen, die komplizierte Mechanik mit ihren Hebeln und Tasten verbogen ist, oder der saure Speichel doch endlich ein Loch in das Messingrohr gefressen hat. Oder wenn ein Auto das Instrument überrollt hat, und man den alten Pilar mit seinen verschieden gebogenen Schallstückeisen für die verschieden großen Trichter braucht und den verschieden großen Eisenkugeln, die er vorsichtig in die verschlungenen Eingeweide des Klangkörpers schiebt, um über ihnen das Blech wieder glattzustreichen und zu polieren, bis es aussieht wie neu.

So stehen sie da in der Werkstatt vor dem Sofa, in der Ecke neben dem Werkzeug an der Wand, die großen Tuben aus den Musikkapellen und Orchestern, und warten darauf, daß sie an die Reihe kommen. Doch auch wenn sie den meisten Raum einnehmen, so sind es doch vor allem die Saxophone, mit denen Pilar und Stabo ihr Brot verdienen. Es ist der ewig moderne, kreischende Klang der Großstadt, den ein Instrumentenbauer namens Adolphe Sax ins Leben rief, als er einem Blechblasinstrument ein kleines Holzblättchen ins Mundstück setzte und zum Vibrieren brachte. Doch weil es dieses winzige Stückchen Holz ist, das den Klang erzeugt, darf ein Blechblasinstrumentenmacher sich keinesfalls Saxophonmacher nennen. Denn streng genommen ist es ein Holzblasinstrument. Darauf legten die Holzblasinstrumentenbauer besonderen Wert, wenn sich ein Vertreter der blechernen Zunft plötzlich Saxophonmacher nennen wollte. »Obwohl die sich eigentlich viel zu fein sind für das Blech und keine Ahnung haben davon.« Doch als Pilar »Fachwerkstatt für Saxophone« auf seine Visitenkarte schreiben wollte, erhoben sie Einspruch, und dem ehemaligen Geigenbauer blieb nichts anderes übrig, als 1991 nochmals nach Bayern zu gehen und eine Prüfung für Saxophone zu absolvieren, bis die Berliner Handwerkskammer dem Blechblasinstrumentenmacher endlich gestattete, die erste »Fachwerkstatt für Blechblasinstrumente und Saxophone« in Berlin zu eröffnen. <br>

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