Kreuzberger Chronik
Dez. 2001/Jan. 2002 - Ausgabe 33

Strassen, Häuser, Höfe

Konterrevolutionäre auf Straßenschildern (1):
Wrangel, der General des Königs



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von Werner von Westhafen

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Ohne die Revolution von 1848 trüge eine der berühmtesten Kreuzberger Straßen einen anderen Namen. Ohne die Revolution wäre Wrangel eine unbedeutende Figur in der Geschichte geblieben. Zwar hat auch Wrangel seine bürgerliche Pflicht erfüllt und 1813 an den Befreiungskriegen teilgenommen, aber eine entscheidende Rolle hat der Soldat damals und auch später nie wirklich spielen dürfen.

Erst als das Berliner Volk am 18. März die kaiserlichen Truppen aus der Stadt treibt, ist seine Stunde gekommen. Wrangel, kommandierender General in Stettin, begegnet den Revolutionären erstmals am 19. März. Eine Delegation der Aufständischen erscheint bei ihm, da man befürchtet, daß Wilhelms Truppen mit der Eisenbahn in die Hauptstadt zurückkehren könnten. Deshalb demontierten sie rings um Berlin die Gleise, und von General Wrangel forderten sie unbedingte Solidarität. Und Wrangel, der treue General des Kaisers, versprach ihnen, dafür zu sorgen, daß kein Militär nach Berlin marschiere.

Wrangel versprach viel und gerne. So, wie auch der König dem Volk viel versprach. Doch mit Versprechungen waren die Berliner nicht mehr zu beruhigen. Am 6. August demonstrierten Tausende – die Berichte schwankten zwischen 20 000 und 7000 – für die Deutsche Einheit auf einer demokratisch-parlamentarischen Grundlage und zogen hinauf zum Kreuzberg. »Mächtigen Jubel erregte es, als nun ein Mitglied des anwesenden Maurergewerks auf das Monument des Kreuzbergs stieg und nicht ohne halsbrecherische Gefahr auf der obersten Spitze desselben eine große deutsche Fahne befestigte.«

Selbst das Militär hielt nicht mehr still, das 2. Garderegiment aus Potsdam revoltierte. Grund war die Bestrafung einiger Soldaten, die sich öffentlich für die Abdankung aller »reactionären Offiziere« aussprachen. Nachdem die Rädelsführer eingesperrt waren, zogen am Abend des 12. September einige Füsiliere des 2. Garderegiments nach Berlin und forderten die Befreiung der Kameraden. »Ein Major, der die Soldaten beruhigen wollte, wurde mit Koth beworfen«, ein anderer geschlagen. Immer mehr Demokraten und Arbeiter gesellten sich zu den Abtrünnigen, die 6. Kompanie des 1. Garderegiments marschierte vorsichtshalber vor dem Stadtschloß auf, und am folgenden Tag verkündete ein Extrablatt: »Die letzten Stützen der Reaction wanken. Unsere Brüder im Heer sind erwacht.«

Der in Potsdam weilende Monarch befürchtete, daß »dies die letzte Stunde ist, um den Thron, Preußen, Teutschland, ja den Begriff der von Gott gesetzten Obrigkeit in Europa zu retten«, und ernannte am 15. September Wrangel zum Oberbefehlshaber sämtlicher zwischen Oder und Elbe stationierten Truppen. Einem Heer von 80 000 Mann! »Jetzt oder nie!«

Wrangel erklärte dazu zwei Tage später: »Meine Aufgabe ist, die öffentliche Ruhe in diesen Landen da, wo sie gestört wird, wieder herzustellen, wenn die Kräfte der guten Bürger hierzu nicht ausreichen« – Erfüllen könne er diese Aufgabe »nur mit der treuen Hingabe für den König, von der wir alle gleich erfüllt sind«. Allerdings räumt er ein, daß gewisse »Elemente« vorhanden seien, die zur »Ungesetzlichkeit« aufriefen. Zu den Versammlungen dieser Demokratischen »geht lieber gar nicht hin; hört dagegen auf meine Stimme, die Stimme Eures Generals, sie ist wohlgemeint!«

Am 20. meldet sich der Wohlmeinende noch einmal zu Wort und droht mit militärischen Mitteln. Er will die Ruhe im Land um jeden Preis erhalten, und er hat Mittel und Macht dazu. »Meine Truppen führen ein scharf geschliffenes, siegreiches Schwert an ihrer Seite und Kugeln in ihren Taschen.« Damit diese Truppen auch weiterhin ihrem Führer ergeben blieben, bestach dieser sie mit einer Gehaltserhöhung von einem Groschen und 4 Pfennigen täglich.

Das Volk, schreibt Rüdiger Hachtmann in seiner tausendseitigen Habilitation über die Revolution von 1848, hat diese Rede Wrangels mit geschlossenem Schweigen quittiert. Die Revolutionäre konterten mit großen Versammlungen, in denen sie ihrerseits das Militär für sich zu gewinnen versuchten und die Verschmelzung ihrer Bürgerwehr mit den Regierungstruppen propagierten. Flugblätter flatterten von den »Demokraten Berlins an ihre Brüder, die Soldaten«, und die Soldaten in den Dörfern um Berlin begannen ihrerseits »eindringliche, demokratische Ansprachen« zu halten.

Doch waren die Pläne zur Konterrevolution längstens geschmiedet. Schon am 11. September, vier Tage vor der Ernennung Wrangels, erläuterte der Kaiser seinen Intimi das Kampfprogramm, bereitete Gesetzesänderungen vor gegen Versammlungen »und Schriften aller Art«, die einen »Umsturz der Monarchie« anstrebten, Verbote »roter Fahnen, Hutfedern und Schärpen etc.«, gegen »Emissäre und Volksaufwiegler«. Für den Fall, daß diese Gesetze nicht durchgesetzt werden könnten und dieser Akt »eine Empörung in Berlin« erzeuge, müsse diese »mit unnachsichtiger Strenge unterdrückt werden«.

Wrangel mußte diese Pläne kennen. Der Mann, nach dem noch immer eine Straße in Kreuzberg benannt ist, erklärte sich bereit zur gewalttätigen Niederschlagung der Demokratischen Bewegung. Am Nachmittag des 10. November zog er mit 30 000 Mann »zur Verstärkung der Garnison« in die Stadt »unter Musik, die heitere Melodien spielte«. Dennoch machten die »über das Pflaster dumpf hinrollenden Kanonen (…) nur den Eindruck einer Leichenparade«, schrieb die Vossesche Zeitung. Das Schloß, das Museum, das Schauspielhaus wurden zu Kasernen, die Stadt zum Militärlager, nie zuvor hat man »so viele betrunkene Soldaten gesehen«. Doch Berlin blieb am Tag der Belagerung »so ruhig, daß man staunen mußte«. Lediglich Bisky, der Vorsitzende der »Arbeiterverbrüderung«, war bereit, sich mit 10 000 Mann »den Bajonetten der Soldaten entgegenzuwerfen«. Doch die Köpfe der Demokraten und der Bürgerwehr entschieden sich für den passiven Widerstand. Und der König ist schon am Abend »körperlich und geistig ein anderer Mann geworden«, in einer »heiteren, muthvollen Stimmung«.

Am folgenden Tag verkündet Wrangel den Ausnahmezustand, hebt die am 18. März erkämpfte Versammlungsfreiheit wieder auf, verbietet die demokratischen Zeitungen und die Verbreitung von Flugblättern politischen Inhalts. Die Revolution ist niedergeschlagen, das Sitzungsgebäude der Volksvertretung wird durch das Militär verschlossen, die Bürgerwehr entwaffnet und auseinandergejagt.

Schon wenige Monate später, am 7. April 1849, ehrt der König seinen wichtigsten Handlanger, indem er eine neue Straße in der Nähe des Kanals nach ihm benennt. Sie erinnert noch heute an einen der bedeutendsten Verräter an der Demokratie: Friedrich Heinrich Ernst Graf von Wrangel.

Literaturnachweis: Rüdiger Hachtmann, Berlin 1848, Verlag J. H. W. Dietz Nachf., 1997

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