Kreuzberger Chronik
Dez. 2001/Jan. 2002 - Ausgabe 33

Die Geschichte

Kosaken in Berlin (2):
Kosaken in Berlin (2) - Die Belagerung der Kosaken



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von Werner von Westhafen

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Sechs Jahre lang belagerten die Franzosen Berlin. Im März 1813 sprengten die Kosaken in die Stadt und schlugen unter dem Jubel der Bevölkerung die »Grande armée« des Kaisers Napoleon in die Flucht. Das Wort Kosak wurde zum Synonym der Befreiung.

Die Spenersche Zeitung berichtete: »Am 4. März räumte die französische Garnison vor Tagesanbruch die Stadt und defilierte zum Halleschen Tor hinaus. Während dies auf der Südseite der Stadt geschah, drang von der Nordseite die russische leichte Kavallerie unter dem General Tschernitscheff gegen das Brandenburger Tor. Die Kosaken ebneten mit Hacken und Schaufeln augenblicklich die von den Franzosen veranstalteten Erdaufwürfe und Gräben, und um 6 Uhr zogen unter Anführung des kommandierenden Generals die russischen Truppen in die Stadt. Ihr Einmarsch ging durch die gedrängten Reihen des Volkes, das von allen Seiten herbeiströmte und ihnen den freundlichsten Willkommen entgegenbrachte.« Die Kosaken jedoch, angeheizt durch den Jubel des Volkes und die erfolgreichen Attacken der vorangegangenen Tage, hielten sich nicht lange auf mit den Bürgern Berlins, sondern setzten unversehens den flüchtenden Franzosen nach und »erreichten die letzten Bataillone noch innerhalb des Halleschen Tors«. Dort lieferten sie sich ein letztes Gefecht mit dem kläglichen Rest der napoleonischen Armee, »wobei die Franzosen an Toten und Gefangenen gegen viertehalbhundert Mann verloren«.

Glücklich darüber, die Franzosen los zu sein, boten die Berliner ihren heldenhaften Rettern die Gastfreundschaft an. »Wie man sich drängte nach den Quartierzetteln, wie die Patrioten eilten und sich um das Vergnügen rissen, die Erretter bei sich aufzunehmen, zu bewirten! Es war nicht jener eitle Kitzel, den wohl auch blasierte Pariserinnen auf die wildfremden Söhne der Steppe, die Krieger asiatischer Herkunft, lüstern machte. Es war eine heilige Lust, das Gebot der Dankbarkeit, das in den ersten Tagen alle ökonomische Berechnung vergessen ließ. Freilich dauerte es nur Tage«, schreibt Willibald Alexis. »In großer Schnelligkeit waren russisch-deutsche Lexika gedruckt, Gespräche mit beiden Sprachen, daß man sich mit den teuren Gästen unterhalten könne. (…) Den lieben Gästen selbst kam es freilich wenig auf solche Verständigung an. Die deutsche Branntweinflasche und die Schüssel Kohl waren ihnen verständlicher und lieber als alle russischen Phrasen.«

Obwohl die tollkühnen Befreier, diese Männer der Steppe, wahrhafte Gottessöhne zu sein schienen, verzögerte sich die Einquartierung der Kosaken, deren rastlose Natur sie in den Straßen umhertrieb – stets auf der Suche nach übriggebliebenen Franzosen. Die Kosaken lagerten vorzugsweise zwischen ihren Pferden auf dem Pflaster, im Kot von Mensch und Tier legten sie sich zum Schlaf, »Stiefel und Hosen vor Schmutz starrend, die Hände und die bärtigen Gesichter mit Krusten umgeben«. Die staunenden Blicke der Berliner störten die heiligen Reiter wenig, die Straße »war ihr Quartier, und so wurde auch alles hier abgetan, was sonst die vier Wände umschirmen.« Während die Söhne der Steppe den Schlaf der Gerechten schliefen, erzählten sich die Umstehenden Geschichten wie die vom Kosak, der vom Pferd gestiegen war, um an einer Mauer die Blase zu entleeren. Der französische Gefangene, den er zuvor mit »einem drohenden Blick« zum Stillstand gezwungen hatte, nutzte die Gelegenheit, aufs Pferd zu springen und davonzusprengen. »Die Leute umher rufen und winken dem Kosaken, daß er eile, dem Schaden vorzubeugen. Der aber verrichtet gelassen sein Geschäft und pfeift dann ebenso gelassen seinem guten Pferde« hinterher. Augenblicklich macht dieses kehrt und bringt den Franzosen zurück.

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Foto: Nikolaos Topp
Viele solcher Anekdoten kursierten in der Stadt, und so ist es nicht verwunderlich, daß man die Helden mit allem bewirtete, was man fand. »Wie wurden Lebensmittel ihnen in Fülle zugetragen, ordentlich aufgedrängt. Die schönsten, zarten Damen fühlten sich beglückt, wenn ein Kosak aus ihren Händen eine Schüssel, ein Glas annahm. Daß sie aber lieber aus der Flasche tranken, und sie gewöhnlich, wenn einmal angesetzt, nicht eher von den Lippen ließen, als bis der letzte Tropfen geleert war, war ein schöner Zug ihrer Naturkraft und gemütlichen Laune!«

Endlich kam der Tag der Einquartierung, und »wie da die Stimmen anders klangen und die Stimmung bald eine andere ward.« Plötzlich war es nicht mehr die Trinkfreudigkeit eines begnadeten Naturvolkes, sondern die unbändige Gier des Tieres: Branntwein müsse man ihnen in Eimern vorsetzen, kein Huhn sei vor ihnen sicher, sogar auf Katzen würde sich das Gesindel stürzen. Aus lauter Liebe hatten ihnen die deutschen Frauen täglich die Lieblingsspeise gereicht, »Kapusta und immer wieder Kapusta, d.h. Kohl«. Jetzt aber waren die Kosaken wählerisch geworden, und »wenn sie auch das Rohe liebten, so zeigten sie sich doch auch begierig nach Gekochtem, Gebratenem, Gesalzenem und Gepökeltem.« Überhaupt seien die Kosaken Plünderer und Diebe. Ein Deutscher Kommandeur berichtete, wie er einen Kosaken fröhlich mit einer silbernen Uhr winken sah. Als er ihn zur Rede stellte, »schüttelte dieser gutmütig den Kopf: Nix gestohlen, Bauer schenkt mir! – Was sagte denn der Bauer? – Sagte nix, war die Antwort, weinte nur ein bißl.«

Aber was war alles das »gegen ihre Unreinlichkeit!« Und nichts konnte das deutsche Volk so sehr empören wie Schmutz. »Diese Betten, diese Wäsche, auf der Kosaken geschlafen, zerstörten alle Illusionen.« Willibald Alexis, nicht ohne die damals übliche Portion Patriotismus, bemerkt an dieser Stelle: »Ich sage nicht, daß die Begeisterung verraucht, die Dankbarkeit verschwunden war; man war nur froh, die schöne Idee wieder frei zu haben, ungestört von der Wirklichkeit, die in allen Verhältnissen Beschwerliches mit sich führt.«

Die Betrachter späterer Jahrhunderte sind nüchterner: Wenige Tage waren die Kosaken zu Gast, und schon erinnerte man sich sehnsuchtsvoll der kultivierten Franzosen, die man soeben noch glücklich aus der Stadt getrieben hatte. Es scheint, als könne es kein Fremder dem deutschen Gastgeber recht machen.


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