Kreuzberger Chronik
Februar 2017 - Ausgabe 186

Strassen, Häuser, Höfe

Die lange Friedrichstraße


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von Werner von Westhafen

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Auch sie entstand mit der Hilfe von Fremdarbeitern

Die Aktivitäten des berühmt-berüchtigten Soldatenkönigs, waren motiviert von krankhafter Eitelkeit. Zeitlebens war der Regent um Ruhm und Rang besorgt, weshalb ihm nichts wichtiger war, als mit Militärparaden zu imponieren und das Rondell vor dem Halleschen Tor in eine preußische Piazza del Popolo zu verwandeln. Auch die schäbigen Baulücken, die sein Vorgänger in der Paradestraße hinterlassen hatte, die zu dem runden Platz führte, wollte er schleunigst schließen.

Sie waren das Erbe seines an ebenso großer Selbstgefälligkeit leidenden Vorgängers, des Kurfürsten Friedrich III., der - darf man dem Bericht eines womöglich nicht ganz unpatriotischen französischen Beobachters glauben, der »eitelste Fürst von der Welt« war, »ein mit Orden übersäter Kleiderprotz, von fürchterlicher Verschwendungssucht, dabei mißgestaltig und durch einen mächtigen Landsknechtschnurrbart entstellt«.

Kaum hatte er sich und seiner Gattin Sophie Charlotte im Januar 1701 eigenhändig die königlichen Kronen aufgesetzt und die bis in den Mai ausgedehnten Krönungsfeierlichkeiten hinter sich gebracht, bei denen sich die Gattin vor lauter Langeweile eine Schnupftabakprise nach der anderen ins gepuderte Näschen gezogen haben soll, beschäftigte er sich mit der Pflege seines posthumen Ruhmes, indem er krampfhaft versuchte, aus dem ländlichen Berlin eine prunkvolle Stadt zu machen.

Schon zu Kurfürstenzeiten hatte er Architekten mit den Plänen zum Bau der Friedrichstadt beauftragt – auch wenn er diesen Namen zunächst einmal noch für sich behielt. Durch die neue Friedrichstadt führte bereits eine vom Oranienburger Tor kommende Straße bis zum Halleschen Tor, die auf ihrem Weg nach Süden die berühmte Straße Unter den Linden kreuzte, die zum Schloss führte. Sie gehörte schon damals zu den wichtigsten Verkehrswegen im historischen Berlin, auch wenn dieser Weg im Norden und im Süden noch einem Feldweg glich, von kleinen, einstöckigen Häusern flankiert wurde und noch keinen eigenen Namen besaß, sondern schlicht »die Querstraße« genannt wurde. Der banale Ausdruck missfiel dem schöngeistigen Sohn des Kurfürsten allerdings schon lange, weshalb es niemanden aus der Kommission zum Ausbau des neuen Stadtteils überraschte, als er eines Tages verkündete: »Was heißt hier Querstraße? Ein anständiger Name muss es sein – der meinige.«

Per kurfürstlicher Order wurde also die Querstraße, die durch den Zukauf weiteren Grundd und Bodens bis zum Halleschen Tor ausgebaut werden sollte, mit dem Namen Friedrichs geschmückt. Architekten entwarfen Häuser und hugenottische Einwanderer, Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, die in dem Ruf standen, gute Handwerker zu sein, wurden angeheuert, um die Pläne Friedrichs in die Tat umzusetzen. Auf einem Gemälde des königlichen Hofmalers Dismar Dägen sieht man Menschenmassen wie beim Bau der Pyramiden beim Aufrichten von hölzernen Kränen, Leitern und haushohen Winden. Schon 1695 sollen 300 Häuser an der Straße vor dem Halleschen Tor fertig gewesen sein, um etwaigen Besuchern aus Italien oder Frankreich zu imponieren.

Doch es zogen keine feinen Herrschaften in die neuen Häuser, wie es sich Friedrich gewünscht hatte. Die Häuser dienten unter anderem auch den französischen Flüchtlingen, die sie gebaut hatten, selbst als Wohnsitz. Anders als heute, wo Fremde in Lagern interniert und zu deprimierender Tatenlosigkeit gezwungen werden, gaben die Regierenden des 17. und 18. Jahrhunderts ihnen immerhin die Möglichkeit, sich Häuser zu bauen. Unterkünfte für sich und für die hoffentlich immer weiter anwachsende Bürgerschaft ihrer Stadt.

Am Ende der Bauarbeiten in der südlichen Friedrichstadt standen auch nach der Einquartierung von Soldaten, Offizieren und den französischen Handwerkern noch immer 1000 Wohnungen leer - was allerdings den König, der vor allem des Bauens wegen gebaut hatte, kaum gestört haben dürfte.

Natürlich wurden die Franzosen, die auf den ehemaligen Gemüsegärten der Berliner Häuser bauten, Bouletten aßen und merkwürdige Früchte in ihren Gärten zogen, von den Einheimischen mit dem gleichen Argwohn beobachtet wie die heutigen Flüchtlinge. Eine Anekdote erzählt von einem zahmen Storch am Hof des Königs, dem die Küchenjungen eine Botschaft für Friedrich umgehängt hätten. In dem Brief beklagte sich der Storch darüber, dass es weit und breit keine Frösche mehr gebe, weil diese französischen »Paddenschlucker« ihm alles vor der Nase wegfangen würden. Die Franzosen waren nicht willkommen - lediglich bei dem bauwütigen Regenten.

Doch so sehr sich die Berliner über ihre neuen Nachbarn auch beklagten: die Hugenotten blieben. Und irgendwann waren auch die hässlichen Baulücken vor dem Rondell verschwunden, die Paradestraße vor dem südlichsten Stadttor säumten vornehme Fassaden, um Hohen Besuch aus Italien oder Frankreich endlich gebührend empfangen zu können. Auch im hohen Norden der Stadt konnte der alte Feldweg mit Pflaster belegt werden, und so wurde die Friedrichstraße, die nun vom Oranienburger Tor im Norden zum Halleschen Tor im Süden führte, zur längsten Straße innerhalb der Zollmauer. Mit der 3,2 Kilometer langen Geraden wollten die Architekten den Besuchern die »Idee der Unendlichkeit« näher bringen, was Heinrich Heine, der längst in Paris wohnte, nicht sonderlich beeindruckte. Er spottete, es herrsche »ein arger Zugwind zwischen den beiden Toren.« •


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